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Moebius

19:00 23:59

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4 stages of sleep – Josi Miller

Rezensiert von on 29. Oktober 2025

       
Müsste ich eine musikalische Lieblingskategorie wählen, dann würde diese Entscheidung wohl mit ziemlich großer Sicherheit auf „happy heartbreak“ fallen. Also jene Art von Songs, deren Melodien zum Feiern und Party machen aufrufen, aber eigentlich auch nur so lange, bis man mal einen genaueren Blick auf die Lyrics wirft und erkennt, dass hinter der fröhlichen Fassade ganz viel Schmerz versteckt liegt. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist das neue Debüt-Album 4 stages of sleep von Josi Miller.
Insgesamt 40 Minuten lang entführt uns die in Leipzig aufgewachsene DJ und Produzentin in Zusammenarbeit mit Groenland Records auf eine nächtliche Autofahrt zwischen Elektrobass und LoFi-House in vier Phasen, angelehnt an die Schlafphasen des Menschen. Mit kurzen Snippets werden die einzelnen Phasen voneinander abgetrennt.

„I could sleep all day, can not sleep at night“

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Phase 1 – dozing off

Übergang vom Wachsein in den Schlaf

Den Einstieg macht Josi Miller im Duett mit BEACHPEOPLE. I could sleep all day behandelt Insomnie auf 120 BPM. Untermalt mit leichtfüßigem Synth und hartem Bass leitet der Song ein Album ein, das von Gegensätzlichkeiten durchzogen ist, ja fast schon von ihnen lebt. Diese Gegensätze lassen sich auch in Josi Millers Leben wiederfinden. 1989 wird Josephine Müller in Leipzig geboren. Eine Stadt, die ihre Kindheit und ihren musikalisch Werdegang prägt. Bereits mit elf Jahren steht sie mit Udo Lindenberg auf der Bühne und mit 16 gewinnt sie bei einem DJ-Battle ihre ersten Turntables. Es ist der Beginn einer Karriere, die sich vor allem in der Nacht abspielt. Doch die Nacht kann ein dunkler Ort sein. In The Night (bad moves) singt Josi Miller von schlechten Entscheidungen der Vergangenheit, die sie bei einer Fahrt durch die dunkle Nacht einholen.

„I FALL INTO THE BACKSEAT. A PLACE WHERE PAST AND FUTURE MEET. CITY LIGHTS ARE FLYING BY LIKE ALL THE CHANCES I LET DIE.“

Mit dem ruhigeren Song Flames rise high leitet Miller sanft den Übergang in die nächste Phase ein. Aus Dösen wird Schlafen – aus Träumen wird Erfolg.

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Phase 2 – light sleep

Herzschlag und Atmung werden ruhiger, der Körper entspannt sich

Ein weiteres Feature, diesmal mit Komponist Stephan Sobanov, den sie auf einer nächtlichen Zugfahrt kennengelernt hat, erklingt weich und träumerisch: In dreams are my reality , einem Cover von Reality aus dem französischen Luftfilm La Boum, taucht eine Person auf, die Millers Leben von Grund auf verändern würde. Mit fast schon hypnotischen Klängen flüchtet sie sich auf ihrer eigenen Version dieses Tracks in eine andere Realität. Und auch mit Blick auf ihre Biografie ändert sich für Josi Miller vieles. Sie wird Resident-DJ in vielen Leipziger Clubs und das Zusammenarbeiten mit Künstlern wie Frauenarzt (von dessen Musik sie sich mittlerweile aber eher distanziert) und  Trettmann bescheren Miller die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Aber neben all dem Erfolg, dem Touren und der Musik wächst ganz langsam noch etwas anderes in der jungen Künstlerin: Selbstzweifel. Ängste. Panik. 

Panik, die droht, die Produzentin aus ihrer Traumwelt zu reißen. Auf experimentelle Weise reiht sich an dieser Stelle the liminal state between dreaming and waking ein: Ein Track, der ohne Lyrics auskommt und dabei auf paradoxe Weise die dünne Linie zeichnet, auf der man sich in dem Schlafstadium befindet, in dem die kleinste Unterbrechung zum Aufwachen führt.

Als solches lässt sich auch der nächste Song Sleepless verstehen. Die ersten drei Minuten sind energetisch, laut. Gemeinsam mit barking continues wiederholt Miller die Worte „together we’re sleepless, broken hearts“ und dann ganz plötzlich, wird es ruhig. Die Bässe und Synth-Melodien weichen ruhigen Gesängen mit sanften Gitarren und markieren einen Einbruch im nächtlichen Trubel. Die Angst, die sich in Josi Millers Leben seit 2022 in Form von immer intensiveren Panikattacken manifestiert, verstummt erstmals.

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Phase 3 – deep sleep

Verarbeitung und Einbettung von Erinnerungen

Als die Panikattaken so intensiv und frequent werden, dass Miller vermehrt Shows abbrechen muss, sucht sie sich Hilfe. Therapie, Traumaaufarbeitung, tiefgehende Gespräche. Erinnerungen treten an die Oberfläche, denen sich die Produzentin in Run widmet, bevor die Antidepressiva Wirkung zeigen. Anstatt von Panikattacken leidet Josi Miller nun aber an extrem intensiven Albträumen – ein Tausch, den die Künsterlin eingeht, um weiter performen zu können. Mit I hope my dreams don’t come true spricht sie erstmalig die dunklen Bilder an, die sie in ihren Träumen verfolgen und die so real wirken, dass sie beschreibt, als würde sie einen zweiten Tag erleben. All das Gesehene hält Miller in einem ausführlichen Traumtagebuch fest, aus dem letztendlich 4 stages of sleep erwächst. Mit Hide & Seek schließt sie das Kapitel, in dem sie sich vor ihrer Angst verschließt. Sie versteckt sie nicht länger, sondern beweist sich selbst und der Öffentlichkeit, dass ihre Panik sie nicht davon abhalten lässt, ihren Job und das Nachtleben zu lieben.

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Phase 4 – REM-Schlaf

(Rapid Eye Movement) Intensives Träumen

Die letzten drei Songs des Albums erzählen von Sucht, denn in Josi Millers Leben ist der Drogenkonsum ihrer Kolleg*innen omnipräsent. In einem ausführlichen Interview mit der taz verrät die Produzentin, die nebenbei auch im Duo mit Visa Vie als OK WOW aufgelegt und mit Helen Fares den Podcast Homegirls moderiert, dass sie selbst den Drogen aufgrund von Angst vor Kontrollverlust lieber fernbleibt. Ihre größte Sucht, so Miller, bleibt sowieso die Nacht. Das thematisiert sie auch auf Sober ,der uns mit elektronisch-liquiden Beats durch den Rausch der Nacht führt.

„WHEN YOURE GONE I CAN’T STAY STOBER. ONLY COME ALIVE WHEN IT‘S LATE AT NIGHT. ON SUNDAY MORNING, I’M SOBER AND I CRY RED WINE. AND THEN I COME ALIVE“

Das Album endet mit dem Song Freakshow , der auch den Wunsch nach dem Ende der Nacht ausspricht. Musikalisch weiterhin laut und schnell wird doch das Bedürnis nach einer Pause deutlich. Mittlerweile hat Josi Miller einen für sie passenden Weg gefunden, um mit dem Trubel und den Albträumen, die weiter fester Bestandteil ihres Lebens sind, umzugehen. Sie ist zuerst unfreiwillig an den Rand Berlins gezogen, wo sie ihre Verbundeheit zur Natur entdeckte und einen Ort findet, der sie erdet. Aber die Nacht pulsiert stätig weiter in ihren Venen.

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4 stages of sleep schafft es, trotz weniger Lyrics eine mitreißende Geschichte von Panik, Albträumen und der Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Stille und Lärm zu erzählen. Mit 13 Songs lädt es ein, zu tanzen und sich in den Beats zu verlieren. Josi Millers Debüt-Album ist eine elektronische Ode an die Nacht und ich freue sehr mich, dass es nun endlich das Tageslicht erblickt. 


Label: Grönland Records
Veröffentlicht am: 24.10.2025
Interpret: Josi Miller
Name: 4 stages of sleep
Coverbild: Josi Miller


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