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Interview mit A River Crossing

Geschrieben von am 20. November 2017

Felix Baumann wird liebevoll als der „Emo-Papa” von Luzern beschrieben. Seit Jahrzehnten hört er Musik, hat etliche Bands kommen und gehen sehen und beschwert sich schon lachend, dass heutzutage einfach alles als „post” bezeichnet wird. Vor Kurzem ist „Sediment” erschienen, das neue Album seiner Band A River Crossing – und das erste mit ihm als Mitglied. Sieben Songs, die allesamt die Vierminutenmarke überschritten haben. Manche sogar die Achtminutenmarke. Im Interview hat er von der Herausforderung erzählt, enorm lange Songs immer noch interessant und spannend zu gestalten und versucht, mit uns die Schweizer Musiklandschaft zu analysieren.

Kannst du dich noch daran erinnern, wie du zu der Musik gekommen bist, die ihr jetzt macht?

Ich höre schon lange Musik, seit 32 oder 33 Jahren, und mit der Rock-Musik habe ich schon ziemlich früh angefangen, mit zwölf, glaube ich. In den 80ern bin ich ins Punk- und Hardcore-Genre eingestiegen, habe mich dort breit gemacht und mich auch mit allen Genres auseinandergesetzt, die mit der Zeit gekommen sind – von Grunge bis hin zum Post-Hardcore. Ich habe angefangen, in Bands zu spielen, habe Gitarre gespielt und gesungen, und viele Bands kennengelernt, die mich fasziniert haben. Die Musik, die von der klassischen Rock-Musik ein bisschen weiter weg ist, hat mich immer schon fasziniert und daraus habe ich auch meine Einflüsse gezogen.

Dass ich bei A River Crossing eingestiegen bin, war aber eher Zufall. Wir haben uns bei einem Heisskalt-Konzert in Zürich getroffen und zu dem Zeitpunkt haben sie einen neuen Sänger gesucht. Jonas kannte ich schon länger und er hat mich dann gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm was zu machen, beziehungsweise das Projekt „A River Crossing” weiterzuziehen. Wir haben ein paar Sessions gemacht und mich hat die Musik von Anfang an gepackt – wie sie Songs schreiben, wie sie Musik machen. Daraus ist nun das entstanden, was die neue Platte „Sediment” geworden ist.

Was war das erste Album erinnern, das du dir jemals gekauft hast?

Ich glaube, das müsste 1981 mit „Back To Back” von Status Quo gewesen sein. Vielleicht war es auch Queen – aber auf jeden Fall 1980, 1981. Mit irgendwas muss man ja auch anfangen (lacht). Aber wenn man zu dieser Zeit wie ich in einem Bauerndorf aufgewachsen ist und die nächstgrößere Stadt ein wenig weg war, war das schon schwierig. Es gab diese eine Radiosendung, die man immer mitgeschnitten hat und durch die man auf Bands aufmerksam geworden ist – bei mir war das Status Quo.

Weißt du noch, was dein erstes Konzert war?

Das war am 1. Februar 1987. Metallica auf der Master of Puppets-Tour mit Metal Church, ich war damals nicht einmal 16 Jahre alt. Ea war ein großes Stück, wenn man eine Band von Anfang an kennt, es aber ein paar Jahre dauert, bis man sie live sehen kann und sich dann ein Ticket für umgerechnet etwa 20€ ergattert.

Zum Verständnis: „Sediment” besteht nur aus einer handvoll Songs, die aber alle sehr lang sind. Ist die Platte für euch ein Album oder eine EP?

Aufgrund der Länge ist es schon ein Album, aber aufgrund der Quantität der Songs geht es auch als EP durch. Aber eigentlich ist es ein Album. Wir mussten sogar schauen, dass es kein Doppelalbum wird (lacht). Hätten wir tatsächlich alle Songs draufgenommen, wäre es mit der Spiellänge sehr knapp geworden.

Ich kann zwar selber ein paar Instrumente spielen, habe aber noch nie Songs geschrieben. Ich finde es aber total spannend, wenn musikalisch so viel in einem Song passiert. Wie schreibt ihr sowas? Überlegt ihr euch wirklich ganz gezielt, wie ein Song werden soll oder passiert das einfach?

Als ich zur Band gestoßen bin, gab es schon ein paar Sachen, die zum größten Teil aus Jam-Sessions entstanden sind. Wir machen das auch heute noch. Dass wir während der Probe aufzeichnen, wir uns dann hinsetzen und Fragmente rausschneiden, die irgendwie brauchbar sind. Als ich dazugekommen bin, standen schon zwei Songs instrumental und wir haben dann probiert, mit Gesang zu arbeiten. Der Rest ist aus Ideen und Fragmenten entstanden, die teils von Jonas und teils von mir kamen. Wir haben uns kontinuierlich nach vorne gearbeitet. Es ist nicht so, dass wir jemanden in der Band haben, der einen kompletten Song mitbringt und sagt „so stelle ich mir das vor”. Unsere Songs sind eher wie ein Produkt aus Sessions, die wir dann so lange arrangieren, bis es passt.

Wie lange habt ihr an „Sediment” gearbeitet?

Als ich Teil der Band geworden bin, war ziemlich schnell klar, dass wir ein Album machen wollen. Ich habe mich am Anfang aber ein bisschen dagegen gewehrt, weil ich auf das ganze Studiozeug keine Lust hatte. Wir haben uns einen Zeithorizont von rund einem Jahr gesetzt, bis wir ins Studio gehen – das war sehr sportlich. Gerade wenn man bedenkt, dass man Songs schreiben muss und man alles bis ins Detail ausarbeiten sollte. Wir haben ein Studio gebucht, um uns selber eine Deadline zu setzen. Ich glaube, wir haben uns insgesamt 14 oder 15 Monate Zeit genommen.

Wenn man die enorme durchschnittliche Songlänge bedenkt, ist das echt nicht so viel Zeit. Ich kann mir kaum vorstellen, dass eure Sachen innerhalb von nur einer Probe entstehen, wie das vielleicht bei anderen Bands der Fall ist.

Wir versuchen, zweimal die Woche zu proben und das sind dann immer drei bis vier Stunden. Es ist eine Herausforderung, Songs dieser Zeit zu schreiben. Jeder von uns arbeitet. Wir treffen uns im Übungsraum, sollten kreativ sein, aber wahrscheinlich jeder nimmt noch das ein oder andere von der Arbeit mit. Das macht das Ganze noch schwieriger – gerade wenn man wirklich kreativ und produktiv sein sollte.

Im Vergleich zu den anderen Releases, zu den früheren Veröffentlichungen von A River Crossing wirkt „Sediment” auf mich postiger und weniger emolastig. Ist das nur mein Gefühl?

Es könnten meine Einflüsse gewesen sein. Ich denke, Michael, der jetzt bei Cold Reading singt, und ich singen sehr unterschiedlich und haben auch ganz unterschiedliche Einflüsse, was sich sicherlich auch auf die Songs ausgewirkt hat. Gerade weil ich zusätzlich auch noch Gitarre spiele, denke ich, dass man meine Einflüsse hört und dass sich alles in eine andere Richtung entwickelt hat. Wir haben uns komplett von Elektronik und Synthies verabschiedet – es ist nur noch Giterren-Bass-Schlagzeug-Gesang-Arbeit. Aber es ist natürlich nicht ein Werk von mir alleine, das braucht noch sehr viel mehr. Auch fie anderen haben herausgefunden, was noch möglich ist. Das Ganze ist fließender geworden, kompakter und nicht mehr so verspielt.

Habt ihr Michael die Songs schon vor dem Release mal gezeigt?

Wir stehen nach wie vor in sehr engem Kontakt mit Michael und Cold Reading und Jonas hat ihm die gemasterten Sachen auch zugeschickt. Er hat auch prompt darauf reagiert und uns zurückgeschrieben, wie toll er sie findet.

Die Releaseshow habt ihr auch zusammen mit Cold Reading gemacht. Wie ist in Luzern denn die lokale Musikszene? Ist man quasi darauf angewiesen, dass man untereinander befreundet ist, dass es diesen gegenseitigen Support gibt?

In Luzern gibt es schon eine breit aufgestellte Musikszene – vielleicht nicht mehr so mit dem Zusammenhalt, wie man ihn noch vor zehn Jahren gepflegt hat, das ist ein bisschen auseinandergebrochen. Dass wir mit Cold Reading die Releaseshow gemacht haben, lag einfach auf der Hand. Sie haben die EP „Sojourner” gemacht, wir unser Album und wir waren immer in Kontakt. Die Releasedaten lagen nur eine Woche auseinander, es hat sich angeboten.

Warum ich so nach der Luzerner Musikszene gefragt habe, ist, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass aus der Schweiz kaum Bands rüberschwappen. Ist es wirklich so schwierig, rauszukommen und durch beispielsweise Deutschland zu touren?

Ein Problem ist, sich irgendwo den Raum zu verschaffen und in eine Community zu kommen. Freunde von mir, LYVTEN, haben es geschafft, ganz schnell in Deutschland Fuß zu fassen, sich mit Bands zusammenzutun und sie auf Tour zu begleiten, weil sie ein ähnliches Genre abdecken – und das beruht auch dann auf Gegenseitigkeit. Wenn sie zum Beispiel durch Deutschland touren, suchen sie sich für jedes Konzert einen Support aus der jeweiligen Region und das funktioniert super. In der Schweiz ist das leider nicht denkbar, das funktioniert einfach nicht. Wir arbeiten im Moment daran, mit unserer Musik da reinzukommen; ich hoffe, wie schaffen es, einen Platz für uns zu finden.

Von meiner Außensicht scheint Deutschland in der Beziehung sehr organisiert zu sein. LYVTEN ist für mich ein super Beispiel dafür, wie man es machen kann. Dass man sich vernetzt, sich einen Namen macht und dann auch viel mehr spielt. Ich glaube, dass es möglich ist, die ganze Schweizer Konzertlandschaft ist allerdings nicht auf das Post-Rock-Ding ausgerichtet.

Zwei kleine Denkfragen zum Schluss: Gibt es einen Song oder ein Album, das du gerne selber geschrieben hättest?

Es gibt schon ein paar Songs, die ich gerne geschrieben hätte, aber ich werde sicher nicht alle verraten (lacht). Einer ist „The Rainbow” von Talk Talk. In den 80ern gab es den Begriff „Post-Rock” noch nicht, aber wenn du dich über die wichtigsten Post-Rock-Alben und -Bands informierst, kommen Talk Talk immer wieder vor. Die hatten auch auf mich einen großen Einfluss.

Stell dir vor, du würdest dich auf dem Weg zum nächsten Emo- oder Post-Rock-Konzert ganz böse verlaufen und einer einsamen Insel landen: Welches Album müsste dann bei dir sein?

(überlegt lange) Madrugada – „Industrial Silence”.

Das Interview führte Leonie Wiethaup; Foto: Silvio Zeder // Authentic Daydreams