miki – industry plant
Rezensiert von Fee Briesemeister on 8. Oktober 2025

Miki aka Mikalea Duplay (26) gelang 2024 mit ihrem Song “échec et mat” und dem dazugehörigen low budget Video, gedreht vor einem Buffallo Grill, der unerwartete Durchbruch. Der Song kombiniert minimalistische aber gleichzeitig experimentelle Sounds mit eindringlichem Sprechgesang und geht einem so schnell nicht aus dem Kopf. Auf ihrem Debütalbum “industry plant” finden sich neben einigen catchy Songs dieser Art auch ruhigere, nachdenklichere Titel.
Miki tickt mit ihrer nonchalanten und leicht nerdy Art die Boxen der Anti-Cleangirl-Ästhetik und wurde nach der Veröffentlichung ihrer ersten EP “Graou” schnell als “rising star” der französischen Popmusik gehandelt. Daraufhin wurde sie genau deshalb in TikTok- und YouTube-Kommentarspalten zerrissen. Ihr wurde vor allem aus der Rap-Szene “vorgeworfen”, eine Industry Plant zu sein. Ein Begriff der in letzter Zeit immer häufiger in Verbindung mit jungen Künstler*innen Verwendung findet, die offenbar nur durch die Marketingstrategien und Produktionstaktiken großer Labels einen hohen Bekanntheitsgrad erlangen. Das Phänomen selbst ist dabei alles andere als neu und basiert zum Teil auf misogynen Strukturen (ein interessantes Video von Matilda Jelitto zum Thema gibt es hier).
Miki, die nach der Veröffentlichung von „Graou“ letzten Sommer extreme Reaktionen dieser Art erfahren hat, beschreibt die vermehrte Verwendung des Begriffs als eine popkulturelle Entwicklung. Sie begegnet der Hate-Welle mit Offenheit und Humor, betont aber auch, dass sie das alles nicht kalt lässt und sie deshalb bewusst den Albumtitel ausgewählt habe. Dies sei jedoch eine Momentaufnahme. Die Künstlerin macht klar, dass sie nicht vorhabe, ihre gesamte Musik und Persönlichkeit um dieses Drama herum zu konstruieren. Der Titel sowie der erste Song der Platte (“yes”) sollen trotzdem eine Antwort auf den negativen Backlash sein.
“J′vomis tous les mots qu′on dit de moi sur internet/ Ils s’impriment sur ma peau du coup j′y crois, ça me fait mal à la tête/ Yes bien sûr que ça me blesse”
“Ich kotze alle Wörter aus, sagt man über mich im Internet/
das brennt sich in meine Haut ein und plötzlich glaube ich, ich hab deshalb Kopfschmerzen/ Ja, natürlich tut das weh”
“Qu′est-ce que t′as? Tu perles un peu et ça m’illumine/ Ah mais non c′était moi, je t’ai juste béni de ma pop d′usine/ À plus tard! J’crois j′ai répét’ jusqu’à 22h/ Rdv dans deux ans et c′est toi qui chanteras tout par cœur.”
“Was hast du? Du schwitzt ein bisschen und ich strahle deshalb/ Ah nein, ich bin schuld, weil ich habe dich gerade mit meinem Industrie-Pop gesegnet/ Bis später, ich glaub' ich werde jetzt bis 22 Uhr proben/ Wir treffen uns dann in zwei Jahren, wenn du alles aus vollem Herzen mitsingst”
Ein Großteil der Kritik an Miki kommt aus den Reihen eines Genres, dessen größtes Aushängeschild das Erzählen der eigenen Geschichte und dessen Authentizität ist. Miki macht aber keinen klassischen Rap und hat nie wirklich einen Platz in dieser Szene für sich beansprucht. Nicht jeder ihrer Texte ist autobiografisch und sie sagt selbst über sich, eine Pop-Künstlerin zu sein, was den Kern der Kritik, die sich auf angeblich mangelnde Authentizität bezieht, bereits entkräftet.
Ihre Texte handeln unter anderem von innerer Zerrissenheit und Selbstbestimmung als Teil einer Generation, die unausweichlich mit einer Welt übersät mit medialen Phänomenen konfrontiert wird, die sich zwischen neu ausgehandelten zwischenmenschlichen Beziehungsformen orientieren muss und kann und die niemals wirklich zur Ruhe kommt, sprich konstant gefordert und überreizt ist. Die Texte auf “industry Plant” sind ungefiltert, manchmal vulgär und lassen auch neben dem Bewusstsein über die Wichtigkeit von sexueller Selbstbestimmung mal einen Hang zu toxischen Beziehungen durchschimmern (“échec et mat”). Die Songs beziehen sich auf alltägliche Momente, zum Beispiel, dass es schon ein bisschen zwickt, in die Friendzone abgeschoben zu werden, auch wenn man das eigentlich nicht zugeben möchte (“ça pik un peu quand même”)…
…oder auch die Gedanken an die eigene Mutter in Situationen, die sie vielleicht nicht so stolz machen würden (“hajima”) und das Hinterfragen der daraus resultierenden Selbstkritik.
“하지마 Tu sors et tu agis mal/ 엄마 dit Hajima/ 집에 가 gentiment/ Qu′est-ce que je fous là? Pourquoi j’pense à ma mère dans ces moments-là/ J′reste une p’tite fille dans un corps de garce”
“Mach das nicht. Du gehst raus und benimmst dich schlecht/ Mama sagt: Hajima/ Geh nach Hause, ganz brav/ Was mach ich hier? Warum denk ich in solchen Momenten an meine Mutter?/ Ich bleib ein kleines Mädchen im Körper einer Schlampe”
Das sind keine nischigen, besonders individuellen autobiografischen Themen. Sie bilden vielmehr den Großteil einer jungen Gesellschaft ab. Die Songs geben anderen Menschen das Gefühl, sich gesehen zu fühlen, regen ab und zu zum Weiterdenken an und treffen thematisch den Zahn der Zeit, erledigen also inhaltlich das, was gute Popmusik zu tun hat. Im Fall von Miki klingt das Ganze jetzt auch noch alles andere als abgedroschen, nämlich indem ein progressiver elektronischer Sound – der einem etwas anderes bietet als die Vorhersehbarkeit aktueller auf elektronischer Musik basierender Chartsongs – mit überraschend direkten, ungefiltert ehrlichen und manchmal vulgären Punchlines unterfüttert wird.
Das Ganze funktioniert so gut, dass man selbst ohne ein Wort zu verstehen an den Melodien und der Komposition kleben bleibt. Vielleicht trägt dazu bei, dass Miki durch talentierte Produzent*innen und ein starkes Netzwerk unterstützt wird, vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass sie mit 6 Jahren angefangen hat Musik zu machen, seit fast 10 Jahren Songs schreibt und produziert, in ihrer Jugend zwei Jahre Geige und 10 Jahre Klavier gelernt hat und sich von spannenden Künstler*innen wie Oneohtrix Point Never, Saya Gray und Caroline Polachek inspirieren lässt, im Umkehrschluss also vielleicht eine klare Vorstellung davon hat, was sie erreichen möchte und von wem sie sich nicht kleinreden lassen will.
“J’suis pas comme ta Polly Pocket et si tu m’casses la tête, c’est toi qui finis au tiroir avec les autres bêtes”
“Ich bin nicht wie deine Polly Pocket und wenn du mich nervst, landest du in der Schublade mit den ganzen anderen Idioten.”
Label: Structure Veröffentlicht am: 03.10.2025 Interpret: Miki Name: industry plant