Wet Leg – moisturizer
Rezensiert von Lena Hallermayer on 21. Juli 2025

Was hat Feuchtigkeitscreme mit Themen wie Queerness, Feminismus und Liebe zu tun? Richtig: Eigentlich gar nichts. Doch genau darin liegt der Reiz. Die inzwischen fünfköpfige Band Wet Leg von der Isle of Wight hat mit ihrem zweiten Album moisturizer, das am 11. Juli 2025 erschienen ist, einem banalen Alltagsgegenstand eine neue Bedeutung verliehen oder ihm zumindest einen klangvollen Rahmen gegeben.
Nachdem ihr selbstbenanntes Debütalbum im Jahre 2022 nicht nur die Charts gestürmt hat, sondern auch mehrere Grammys abgestaubt hat, waren die Erwartungen an das zweite Album entsprechend hoch. Umso bemerkenswerter, dass die Band, die sich nun um drei weitere offizielle Mitglieder vergrößert hat, die Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern sogar übertreffen konnten. Geschrieben haben die beiden Gründerinnen Rhian Teasdale und Haster Chambers das Album gemeinsam mit Bassist Ellis Durand, Gitarrist und Pianist Joshua Omead Mobaraki und Drummer Henry Holmes isoliert in einem abgelegenen Haus auf dem Land.
Thematisch dreht moisturizer sich, ganz im Kontrast zum Debütalbum, um das Lieblingsthema der Musikindustrie: der Liebe. Wet Leg zeigt allerdings verschiedene Facetten dieser auf und beleuchtet dabei vor allem obsessive, vereinnahmende und manchmal auch selbstzerstörerische Liebe. Auch im Sound spiegelt sich das Thema wider: neben dem verspieltem Postpunk Sound, wie schon von Wet Leg bekannt, glänzen auf diesem Album auch softere und verträumte Songs und zeigen so neue Facetten der Band.
“Is it love or suicide”
Der Opener des Albums CPR eröffnet mit einem rockigen, punkigen Sound und setzt damit direkt ein kraftvolles Statement. Thematisch dreht sich der Track um emotionale Abhängigkeit und die Unsicherheit vor intensiver Liebe. Das lyrische Ich zählt kompromisslos all die Dinge auf, die es aus Liebe tun würde: sogar von einer Klippe zu springen, nur weil es verlangt wird. In den Pre-Chorus-Zeilen „is it love or suicide“, die immer wieder wiederholt werden, vermischen sich Verlangen und Selbstzerstörung. Sich auf jemanden einzulassen, bedeutet hier immer auch, ein Risiko einzugehen. Die Zeile „put your mouth to mine and give me CPR“ bringt diese Abhängigkeit auf den Punkt. Sängerin Rhian Teasdale experimentiert dabei eindrucksvoll mit stimmlichen Facetten: Mal klingt sie bedrohlich und fordernd, an anderen Stellen wieder weich und verletzlich.
„I melt for you, I liquidize“
Auch im zweiten Song liquidize bleibt das Thema Verehrung und Abhängigkeit im Mittelpunkt. Die Gefühle werden dabei intensiver, fast schon überwältigend. Das lyrische Ich ist völlig eingenommen von einer anderen Person und fragt sich, wie es sein kann, dass gerade es auserwählt wurde ( „so many creatures in the fucking world, how could I be your one?“) . Die zentrale Zeile „I melt for you, I liquidize“ zeigt eine völlige Selbstaufgabe: nicht nur Schmelzen vor Liebe, sondern regelrecht Auflösen. In der Bridge, in der wiederholt „What am I?“ gefragt wird, spitzt sich diese emotionale Abhängigkeit zu: Die eigene Identität verschwimmt, bleibt nur noch in Bezug zur geliebten Person greifbar. Musikalisch wird das Ganze von Gitarrenriffs getragen, die diese kraftvoller Euphorie und innere Zerrissenheit widerspiegeln.
„I don’t want your love, I just wanna fight“
Der dritte Song des Albums catch these fists klingt wie ein wütender Ausbruch: das Zusammenspiel aus Gitarre und Schlagzeug verleiht dem Track eine explosive Energie, während der stimmliche Ausdruck fast schon kalt und wie gesprochen klingt. Zeilen wie „Cause what I really want to know is, can you catch these fists?“ oder „I don’t want your love, I just wanna fight“ lassen keinen Zweifel daran, dass hier eine klare Grenze gezogen wird. In der Bridge zeigt nochmal deutlich, worum es geht: die alltägliche Erfahrung von Frauen, die sich im Club oder auf Partys gegen unerwünschte Annäherungsversuche zur Wehr setzen müssen, obwohl sie eigentlich nur eine unbeschwerte Zeit mit Freund:innen verbringen wollen. Es geht um das Eindringen in den persönlichen Raum, das ständige Erklären-Müssen, welches müde und wütend zugleich macht. Wet Leg fangen in diesem Song sowohl textlich als auch musikalisch passend ein, wie sich dieser „feminine rage“ anfühlt.
„You know that I would do anything for you“
Nach dem wütenden Ausbruch des vorherigen Tracks wirkt davina mccall wie ein Innehalten. Das Instrumental ist deutlich ruhiger, fast verträumt. Die Stimmung wirkt zunächst harmonisch, beinahe leichtfüßig, vor allem in den Strophen, in denen Verliebtheit ganz ohne Drama erzählt wird. Die Zeile „I’ll be your Davina“ verweist auf Davina McCall, britische Moderatorin von Big Brother, deren Catchphrase „I’m coming to get you“ hier als charmante Liebeserklärung uminterpretiert wird. Sätze wie „You know that I would do anything for you“ oder „Everyday is spent trying to say something to make you smile“ lassen erahnen, dass auch hier wieder ein Muster durchscheint: totale Hingabe, die sich leicht in Abhängigkeit verwandelt. Trotz des sanften Sounds bleibt das Thema dasselbe: Liebe, die verzehrt.
„You’re giving Jennifers body, I’ll be needy for you“
Der Song jennifer’s body erzählt mithilfe popkultureller Anspielungen von queerer Sehnsucht und Verlangen, das nicht ausgesprochen werden kann, weil es sich in einer vermeintlich heteronormativen Freundschaft verliert. Schon der erste Vers zeichnet eine intime Szene: Zwei Menschen auf dem Weg zu einer Party, der Himmel wunderschön, aber der Blick sucht nur eine Person: „The sky is looking so lovely/ I’m just looking for you.“ In Strophe zwei wird die Dynamik konkreter: „You’re giving Jennifer’s Body, I’ll be needy for you“: eine clevere Anspielung auf den Kultfilm Jennifer’s Body, in dem die Beziehung zwischen der verführerischen Jennifer und ihrer besten Freundin Needy von der fließenden Grenze zwischen Freundschaft und Verliebtheit geprägt ist. In „Want a man? I’ll pretend for you. What’s a guy like me to do“ wird schließlich klar, wie sehr sich das lyrische Ich selbst verleugnet, um der anderen Person nah zu sein.
„I really hope you’re gonna get out soon“
Mit der ersten Zeile „Nice try, get out the way“ ist der Ton von mangetout sofort gesetzt. Wie schon in catch these fists geht es um Frustration und Wut, gerichtet an einen Mann, der es hartnäckig versucht, obwohl das Desinteresse längst deutlich ist. Schon der Titel „mangetout“ trägt eine subtile Doppeldeutigkeit in sich: Wörtlich das französische Wort für Zuckerschote, liest es sich englisch ausgesprochen auch als „man, get out“. Zeilen wie „I really hope you’re gonna get out soon“ machen deutlich, dass hier kein Platz für männliches Ego ist. Im letzten Chorus werden Motive aus dem Songverlauf geschickt wieder aufgegriffen: mit französischen Begriffe wie „bienvenue“ und der Wiederholung der Anfangszeile entsteht ein formaler Rahmen, der die Botschaft abrundet. mangetout ist ein Empowerment-Song, der die Absurdität männlicher Hartnäckigkeit thematisiert, und das mit Witz, Klarheit und einer großen Portion Haltung.
„I’ve never been so deeply in love“
pond song erzählt eine Liebesgeschichte: In der ersten Strophe lernt man zwei Figuren kennen, eine Musikerin aus einer Kleinstadt, die versucht, sich mit kleinen Gigs einen Namen zu machen, und eine andere Person, die in einer Kneipe in der Nähe arbeitet. Zwischen den beiden scheint sich etwas angebahnt zu haben, jedenfalls aus der Perspektive der Sängerin: „I’ve never been so deeply in love.“ Die Zeile „when I dipped my dogs into the pond of your mind“ spielt mit Sprache: vermutlich eine schräge Abwandlung des Sprichworts „to dip your toe in the water“ und damit Ausdruck eines zögerlichen, tastenden Annäherungsversuchs. Besonders auffällig ist die spirituelle Bildsprache des Songs: Die Liebe wird als Erlebnis beschrieben, durch das sogar ein Zugang zu Gott gefunden wurde, unüblicherweise zu einer Gottheit, die als „she“ bezeichnet wird. Auch das Bild „you’re the sun and I’m a flower“ knüpft an das große Motiv des Albums an: bedingungslose Hingabe, die leicht in emotionale Abhängigkeit kippt.
„I don’t wanna take it slow“
Mein persönlicher Favorit pokemon sticht mit seinem leichten, fröhlichen Sound deutlich aus dem sonst eher punkigen und wütenden Album hervor. Ein verträumter Synthesizer untermalt den Track, während die Vocals ungewohnt melodisch und glücklich klingen. Mit Zeilen wie „You wanna go for a drive? / I don’t wanna take it slow“ lädt der eingängige Chorus zum Mitsingen und Tanzen ein und versprüht pure Lebensfreude. Thematisch dreht sich alles um einen unbeschwerten Roadtrip mit der geliebten Person. Genauso klingt der Song auch: sorglos, leicht und voller Optimismus. Süße, fast schon ein bisschen cheesy Lyrics wie „You are my favorite human being“ oder „Your kiss is all I’ll ever need“ fügen sich charmant in das Gesamtbild ein. In der dritten Strophe wird schließlich der Titel erklärt: „You just gotta choose me, baby, yeah, I’ll be your Pokemon.“ Insgesamt fühlt sich der Song an wie eine Szene aus einem Coming-of-Age-Film, in der die Protagonist:innen gemeinsam aufbrechen, um alle Sorgen hinter sich zu lassen.
„Practising your origami, fold me over, hit the spot“
pillow talk ist wohl einen der wildesten und direktesten Songs des Albums, und das sowohl thematisch als auch klanglich. Obwohl der Titel zunächst an leises Bettgeflüster denken lässt, schlägt der Sound eine ganz andere Richtung ein: laut, kraftvoll und punkig. Schon die erste Strophe macht klar, worum es geht: um brennende Begierde nach einer Person, die nicht greifbar ist. „Every night I lick my pillow, I wish I was licking you“: so explizit beschreibt der Song sexuelle Fantasien und Sehnsucht. Der Refrain lebt von seiner einprägsamen Wiederholung: „It’s all pillow talk / hey hey hey / you’re kinda cute though / like Calamity Jane.“ Die Erwähnung von Calamity Jane, einer historischen Figur, die Geschlechterrollen sprengte, deutet subtil auf queere Bezüge hin. Auch spätere Zeilen wie „Practising your origami, fold me over, hit the spot“ oder „make you wet like an aquarium“ sprechen eine klare, sexuell aufgeladene Sprache.
„I don’t mind where we’re going / if it’s your hand, baby, I’m holding“
don’t speak besteht aus einem groovigen Bass und einer verzerrten Gitarre, die einen entspannten, aber dennoch intensiven Klang schaffen. Rhians Stimme wirkt dabei hauchzart, sanft und voller Gefühl. Bereits im ersten Vers spielt der Text mit der Bedeutung von „Ich liebe dich“ in verschiedenen Sprachen, italienisch und Französisch, um dann zu betonen, dass all diese Worte eigentlich nicht nötig sind, um die eigene Liebe auszudrücken. Trotzdem wäre man bereit, genau das zu sagen, was die andere Person hören möchte. Die Bridge ist fast verschwommen gesungen und vergleicht auf verspielte Weise die Beziehung mit untrennbaren Paaren wie „rock to my roll“ oder „salsa and doritos“. Ein weiterer Song, der nur so von Verliebtheit übersprudelt.
„It’s not like the moon forgets to shine when I’m not with you / but it feels like it just might“
Der vorletzte Track 11:21 hebt sich klanglich deutlich vom sonstigen Wet-Leg-Sound ab: Statt verzerrter E-Gitarren finden sich hier sanfte Synthesizer, leichte Drums und eine zurückhaltende Gitarre zusammen. Auch gesanglich schlägt der Song eine andere Richtung ein: Die zarte, melancholische Stimmfarbe von Rhian erinnert stellenweise an die Sängerin Mitski und unterstreicht die emotionale Tiefe des Tracks. Inhaltlich ist der Song zwar schlicht gehalten, doch genau das macht seine Wirkung aus. Zeilen wie „It’s not like the birds fall from the sky when I’m not with you / But it feels like they just might“ kreisen um das zentrale Thema des Albums: emotionale Abhängigkeit. Mit der Wiederholung der ersten Zeile „But I feel the same about you since the day that we first met“ am Ende schließt sich der Kreis und lässt Raum für verschiedene Interpretationen: ein Zeichen beständiger Liebe oder Ausdruck einer nicht endenden Sehnsucht.
„When I’m with you, it’s all okay“

Der finale Track u and me at home bleibt mit treibendem Schlagzeug und energetischer E-Gitarre dem Sound treu, der sich durch das gesamte Album zieht. Der eingängige Chorus, bestehend aus der schlichten Wiederholung von „you and me at home again“, bringt das zentrale Gefühl des Songs auf den Punkt: Geborgenheit. Inhaltlich wirkt der Track wie eine liebevolle Hommage an eine Beziehung, ob romantisch oder platonisch, zwischen Menschen, die sich gegenseitig Halt geben. Zeilen wie „when I’m with you, it’s all okay“ oder „maybe we could start a band as some kinda joke“ lassen vermuten, dass hier die Verbindung zwischen den Bandmitgliedern besungen wird. Gerade mit dem Wissen, dass moisturizer in gemeinsamer Isolation auf dem Land entstanden ist, entfaltet der Song eine ganz eigene Wirkung: Als würde Wet Leg den kreativen Entstehungsprozess des Albums ihren Hörer:innen transparent machen. Definitiv ein stimmiger, warmer Ausklang für ein Album, das Liebeswahn und zwischenmenschliche Dynamiken laut und leise erzählt.
Mit moisturizer gelingt Wet Leg ein facettenreiches Album, das sich über wütendem Postpunk bis zu verträumtem Indie-Pop erstreckt und dabei intime, aber gesellschaftliche Themen anspricht. Die Band bleibt ihrem ironisch-überdrehten Stil treu, schafft es aber gleichzeitig, musikalisch und thematisch zu wachsen.
Label: Domino Recording Co Ltd Veröffentlicht am: 11.07.2025 Interpret: Wet Leg Name: moisturizer