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Von gewaltigen Klanglandschaften und Tour-Survival-Kits – Messer im Interview

Geschrieben von am 26. April 2024

Unsere Radio Q-Musikredakteurinnen Anika Hagen und Carlotta Aupke haben sich vor dem Tourauftakt der Post-Punk Band Messer im Gleis 22 in Münster mit Frontsänger Hendrik Otremba und Bassist Pogo McCartney unterhalten.

Q: Wir sind Carlotta und Anika von Radio Q. Und heute sitzen bei uns Messer. Oder zumindest die Hälfte davon. Vielleicht könnt ihr euch einmal vorstellen.

Pogo McCartney: Ja. Hallo. Ich bin Pogo McCartney und spiele Bass bei der Gruppe Messer.

Hendrik Otremba: Ich heiße Hendrik Otremba und bin der Sänger der Gruppe Messer.

Q: Ihr habt ja letzte Woche euer neues Album Kratermusik rausgebracht und wir haben ein paar Fragen dazu, weil wir ganz große Fans von dem Album sind.

Pogo McCartney: Das freut uns natürlich.

Q: Der Album-Release ist jetzt eine Woche her, es ist bei Radio Q tatsächlich direkt Album der Woche geworden. Wie habt ihr denn bisher so die Resonanz empfunden? Vor allem auch im Vergleich zu den anderen Alben, die ihr schon rausgebracht habt?

Pogo McCartney: Also ich fand das eine grundsätzlich total positive Resonanz. Es wurde echt oft besprochen und bis auf wenige Ausnahmen gab es kein Gemecker, was grundsätzlich immer gut ist. Also man hat schöne Dinge gelesen über dieses Album. Das fand ich toll. Das war vor allem im Vergleich zum letzten Album, was glaube ich Corona-bedingt ein bisschen untergegangen ist. Das konnten wir kaum bespielen und es wurde dann unmittelbar nach Veröffentlichung des Albums die ganze Tour abgesagt und darauf die Tour wurde, glaube ich, direkt in den nächsten Lockdown gebucht und wurde wieder abgesagt. Insofern ist das etwas, was wir das letzte Mal vor sehr langer Zeit hatten. Und deswegen fühlt sich das natürlich total gut an.

Hendrik Otremba: Ja, das empfinde ich auch so und ich glaube auch, dass wir euphorischer sind als sonst, weil es einfach für uns sehr besonders ist nach dieser Zeit, die Pogo gerade beschrieben hat, wo so ein Loch sich aufgetan hat, dass das jetzt irgendwie weitergeht. Und natürlich, da wir jetzt auch keine Newcomer-Band sind, hatten wir vielleicht auch ein bisschen Angst, dass sich meanwhile so viel verändert hat, dass man uns vielleicht auch vergessen hat. Und wir wissen schon, dass wir Fans haben, die uns die Treue halten und so, darum waren wir, glaube ich, nicht besorgt. Aber die Welt dreht sich weiter. Auch der Musikjournalismus zum Beispiel hat sich ganz stark verändert und wir waren dann doch sehr froh darüber, dass es viel Resonanz gab, dass es viele Besprechungen gab, viele Radiointerviews und so und das ist vor allem auch immer eine Zeit, in der man dann auf eine besondere Art auch über so ein Album spricht. Weil wir setzen uns jetzt nicht privat zusammen und reden eine Stunde lang über Kratermusik und diskutieren irgendwelche Fragen dazu. Das heißt, wenn wir in einem Interview sitzen, dann ist es auch für uns immer spannend, weil wir bemerken, was man alles darüber sagen kann und wie vielleicht auch die Perspektiven und Gedanken innerhalb der Band ganz unterschiedlich sind. Also es ist auch für uns immer eine spannende Zeit.

Q: Ja, sehr gut. Ich hab das Gefühl, bei dem Album gibt es auch einfach sehr viel zu besprechen und allein der Titel erweckt ja schon sehr viele verschiedene Assoziationen und lässt viel offen. Wie würdet ihr Kratermusik denn für euch persönlich in Bezug auf das Album oder auf die Band Messer definieren?

Hendrik Otremba: Ich hab schon das Gefühl, auch wenn man vielleicht immer so kurz nach der Veröffentlichung noch gar nicht so sicher so viel darüber sagen kann, also mir geht es zumindest so, dass ich immer erst Jahre später wieder so eine Idee davon bekomme, was das jetzt ist. Aber ich kann sagen, dass sich das irgendwie sehr leicht anfühlt. Irgendwie sehr geöffnet, wo ich oft schon auch bei Messer-Alben das Gefühl hatte, die lasten irgendwie ganz schön, die hängen an einem und und die fühlen sich irgendwie auch manchmal schwer an und so und das ist auch das, was aus unserem Umfeld die Leute bislang zurückgemeldet haben, dass die sehr gut da reingekommen sind, dass die, ohne dass es jetzt irgendwie eine sich anbiedernde Popmusik ist oder so, not that there’s anything wrong with it, so, dass die Leute da irgendwie gut reingekommen sind. Und ich glaube, dass wir das irgendwie auch wollten. Also eine Platte, die auch einladender ist. Und Kratermusik ist deshalb für uns, glaube ich, einfach ein Album, was auch mit einem Entwicklungsweg zusammenhängt, also eine Platte, die wir vielleicht auch dann jetzt erst mit Abstand so machen konnten und vielleicht auch mal mit so einer kleinen Phase der Neuorientierung, weil wir einfach in der Pandemiezeit und danach nicht wirklich gespielt haben, bis auf ein paar kleine Ausnahmen, uns vor allem Zeit genommen haben, so ein bisschen im Songwriting und dem Musikalischen noch mal auch neu zu gucken, was wir so machen wollen. Also ich hab das Gefühl, wir sind mit Gelassenheit zu Werke gegangen und haben das irgendwie gemächlich kommen lassen das Album. Und was mir auch gut gefällt ist, dass es irgendwie schneller ist als die letzten Platten und irgendwie körperlicher und beschwingter. Und ich freue mich sehr, dass wir heute hier im Gleis 22, was jetzt, glaube ich, bei der Ausstrahlung des Interviews schon kurz zurückliegt, dass wir das live spielen und bin sehr gespannt darauf. Ist auch ein bisschen aufregend, ob wir das alles hinkriegen. Über die Hälfte des Sets, das wir spielen, haben wir noch nie live gemacht. Ja, wie siehst du das?

Pogo McCartney: Ja, ich würde mich dem anschließen. Also was das Album zu einem besonderen Album macht, jegliche Arbeit an dem Album blieb so ein bisschen in der Familie von vorne bis hinten. Das unterscheidet das Album von anderen Alben. Also wir haben das komplett selber aufgenommen, wir haben es komplett selbst gemixt, beziehungsweise mit Alexander von Hoerstens Hilfe. Das ist ja aber unser Haus- und Hof-Tontechniker, der uns auch immer auf allen Touren begleitet und der hat die Platte dann auch noch mal gemastered, weil der das sowieso häufig und quasi beruflich macht. Aber es blieb sozusagen alles in unserer Hand diesmal. Und vor dem Hintergrund ist das Album ja auch noch mal so eine Art, ja wie nennt man das, so eine Zäsur oder sowas in die Richtung.

Q: Ja, es klingt auf jeden Fall so, als wäre das Album noch mal ein bisschen persönlicher für euch als die davor. In einem anderen Interview habt ihr selbst darüber gesagt, dass Messer Kratermusik machen, dass das wie so eine Art eigenes Genre ist. Gibt es vielleicht so bestimmte Elemente, die Kratermusik für euch ausmachen? Könnt ihr das zusammenfassen?

Hendrik Otremba: Das war auch ein bisschen vielleicht mit einem Augenzwinkern formuliert, weil diese Frage “Was macht ihr denn für Musik?” ja immer so ein bisschen erfordert, dass man sich in ein Genre einordnet oder so, und dass bei Messer für uns von Anfang an klar war, dass wir irgendeine Art von Rockmusik machen. Wir kommen alle aus so Punk- und Hardcore-Kontexten, sind aber in unserem Geschmack alle sehr offen. Und deshalb haben wir bei der ganzen Angelegenheit mit Messer irgendwie nie zum Ziel gehabt, uns irgendwo einzufinden, auch jetzt nicht in so einem Distinktionsgebaren, dass wir uns nicht festlegen wollen, sondern das ist einfach so. Und als dann dieser Titel feststand, der eher auch so ein Gefühl für die Platte für uns, glaube ich, bedeutet, eine Kratermusik, das ist irgendwie auch mit einer gewissen Vieldeutigkeit behaftet. Das ist was Landschaftliches, wo es irgendeine Form der Veränderung gab und sich irgendwie was Gewaltiges vielleicht auch mit einem Idyllischen in Beziehung setzt. Das sind alles so verschiedene Gedanken, die man haben kann, die da vielleicht eine Rolle gespielt haben. Und hinzu kommt, fanden wir es irgendwann auf eine Art dann auch witzig, zu sagen, das ist vielleicht auch unsere eigene gestiftete Genrebezeichnung – wir machen Kratermusik. Und wir haben jetzt angefangen, innerhalb der Band so ein bisschen zu überlegen, was hören wir selber für Kratermusik? Also wenn wir dieses fiktive, augenzwinkernde Genre, das wir uns da überstreifen, mal in den Raum werfen. Was gibt es an Musik, die wir gut finden, wo wir sagen würden, das ist auch Kratermusik, da sind wir gerade so dabei uns auszutauschen.

Q: Ja, sehr cool. Ein Element, was uns auch immer wieder in euren Songs aufgefallen ist, ist, dass der Gesang manchmal, obwohl es ja textlich sehr stark ist teilweise, in den Hintergrund tritt und es zu so einem Gegenspiel zwischen Musik und Stimme kommt. Und da haben wir uns gefragt, ist das von vornherein schon so geplant gewesen, ist das im Song angelegt gewesen? Oder ist das erst im Prozess entstanden?

Hendrik Otremba: Eigentlich entsteht bei uns alles im Prozess. Also es gibt eigentlich nicht wirklich so was Konzeptuelles oder irgendwelche großen Vorentscheidungen, zumindest nicht so in meiner Wahrnehmung. Und die Musik ist einfach als erstes entstanden und ich schreibe sowieso immer und Texte entstehen und dann gibt es eine lange Phase, in der die irgendwie so aufeinander zukriechen und sich mit den Songs verbinden. Und das beschreibt vielleicht auch eine Veränderung, die zu eurer Beobachtung passt, weil ich auch selbst das Gefühl hatte, dass ich mich nicht mehr so auf die Songs draufgesetzt hab und die für mich irgendwie als Fläche auch genutzt hab, um darauf was zu erzählen, sondern dass ich mich viel stärker eingeordnet hab und glaube ich auch den Gesang, auch wenn die Texte natürlich mir wichtig sind und eine Rolle spielen, viel stärker als ein Instrument begriffen habe, was dem irgendwie ausgeprägteren Rhythmus und der stärkeren Dynamik der Musik vielleicht damit auch besser zuspielt. Also dass sich das stärker verbunden hat in meiner Wahrnehmung, hat sicherlich auch dazu geführt, dass es manchmal weniger gut verständlich ist oder wirklich instrumentaler kommt. Also mir gefällt das sehr gut, dass eine Band, die auch, glaube ich, von Leuten anders rezipiert wird, nämlich als textlastig und irgendwie erzählerisch und so, dass man das einfach machen kann, dass sich das so ergeben kann aus einem Prozess heraus, und dass wir diese Offenheit, die wir immer haben wollen, scheinbar behalten, also dass so was irgendwie geht.

Pogo McCartney: Ja, also im Grunde fügt sich das ein in einem anderen Prozess, den wir, glaube ich, seit Bandbeginn, ja irgendwie auch angehen. Und da erinnere ich mich an frühe Konzerte zusammen mit den Obits, mit unserem alten Freund Rick Froberg, der leider auch vor nicht allzu langer Zeit verstorben ist. Aber es waren wahnsinnig schöne Abende mit den Obits und die waren zwei Generationen älter als wir, muss man sagen. Die haben auch schon in den 80er Jahren Musik gemacht und die haben das mal irgendwann total gut auf den Punkt gebracht, dass sozusagen die Qualität einer Band mit all den Jahren damit wächst, dass sie nicht mehr gegeneinander spielen, sondern miteinander spielen. Und das passt finde ich auch total gut zu Messer. Am Anfang hatten wir diesen Proberaum hier am alten Güterbahnhof. Die meisten Münsteraner Hörer*innen werden das kennen und diese Löcher da unten, wo man nicht so viel gute Sachen ausbauen kann, bzw. man müsste viel Geld in die Hand nehmen und da sind so viele andere Räume, dass man auch ständig Übersprechungen hat. Das heißt man dreht sich ständig auf und am Anfang, Hendrik, musstest du einfach gegen uns anschreien, vor allen Dingen, weil das ja auch in der Regel so ist, dass in diesen Proberäumen am Anfang so Gesangsanlagen stehen, die natürlich ihre Grenzen haben. Das kann man so sagen. Und ich glaube, mit all den Jahren hört man mehr aufeinander und man fügt sich besser ein und es geht dann mehr um den Song. Wie funktioniert der Song gut? Und man stellt so die Egos alle ein bisschen auch zurück. Und ich glaube, das ist ein Lernprozess, der gar nicht so einfach ist. Tatsächlich, wenn man sich da mal ehrlich macht. Aber ich glaube, es ist ein Prozess, den beschreiten wir und den beschreiten wir immer weiter, glaube ich auch, und sind da auch noch nicht am Ende, aber ich glaube, das ist ein Ausdruck dessen.

Hendrik Otremba: Und ich will nur ergänzen, dass das in meiner Wahrnehmung auch ein bisschen einhergeht mit dem Zwischenmenschlichen innerhalb der Band, also dass man sicherlich nicht sich komplett von seinem Ego befreit. Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, aber ich merke, dass wir vielleicht auch miteinander in vielen Dingen sanfter, verständnisvoller und einfühlsamer werden. Und das ist jetzt nur so eine spontane These, aber vielleicht ist das auch das, was wir mittlerweile freundschaftlich miteinander irgendwie erleben. Vielleicht spiegelt sich das auch in der Musik wider. Du hast vorhin gesagt, persönlicher wäre die Musik, vielleicht wirklich auch soundästhetisch persönlicher sozusagen. Ja, das kann sein, dass das dann irgendwie zusammenhängt. Es ist nicht so, dass ich einen großen Masterplan gestrickt habe, sondern ich glaube vielmehr daran, dass man das so kommen lassen muss und darauf vertrauen muss, dass daraus was entsteht und dass man selber vielleicht auch gar nicht immer wissen und verstehen muss, was da entsteht.

Q: Ja, spannend. Auch schön zu hören, dass sich das in der Musik widerspiegelt, was ihr eigentlich menschlich für eine Dynamik habt. Ihr habt einen Song Schweinelobby (Der Defätist). Da sind wir vor allem über den Text gestolpert. Der erinnert auf Textebene sehr an deinen Roman Benito, Hendrik. Einmal erwähnst du den Roman dann auch explizit in der Zeile “Benitos ganze Handlung, sie lässt mir keine Ruh”. Wir haben den Songtext auch in deinem Gedichtband gefunden, er scheint schon ein bisschen länger zu existieren. Welche Rolle spielt dann Messer bei diesen medialen Überschneidungen? Sind die mit der Zeit entstanden? Oder denkst du das vielleicht auch von Anfang an so mit?

Hendrik Otremba: Nee, das ist auch entstanden. Also bei mir ist das so, dadurch, dass ich verschiedene Dinge mache, ich fange irgendwann an, an was zu arbeiten und dann ragt das immer in die Dinge rein, mit denen ich gerade beschäftigt bin. Und dann kann ich über eine Figur wie Benito nachdenken und schreib einen Roman, in dem diese Figur eine wichtige Rolle spielt oder eine Hauptrolle spielt. Und wenn ich gleichzeitig schon dabei bin, an Messer zu denken, dann fällt auch noch ein Songtext ab. Also es ist wirklich ganz einfach so gesehen. Und natürlich ist das auch eine Form von Spiegelkabinett und das beeinflusst sich und löst auf der einen Seite was auf, intensiviert das auf einer anderen. Also das sind irgendwie schon Prozesse und Dynamiken. Aber es ist nicht so, dass ich einen großen Masterplan gestrickt habe, sondern ich glaube vielmehr daran, dass man das so kommen lassen muss und darauf vertrauen muss, dass daraus was entsteht und dass man selber vielleicht auch gar nicht immer wissen und verstehen muss, was da entsteht, sondern dieses Zulassen, das Eigenleben von Stoffen beobachten und dann auf eine Art auch mehr zum Aufschreibenden davon zu werden, das reizt mich einfach sehr. Holger Czukay hat das mal das Kunstvertrauen genannt, also dass man nicht versucht, alles immer zu kontrollieren, sondern einfach darauf vertraut, dass sich aus dem Zulassen auch was Schönes ergeben kann oder was Intensives oder irgendetwas, das eben zu Menschen spricht und zu einem selber auch spricht. Genau, deshalb gibt es da nicht so wirklich ein Konzept, außer dass ich versuche, das einfach möglich zu machen, da aufmerksam zu sein und mich nicht einzuschränken. Und bei dem Stück Schweinelobby (Der Defätist), was ich gerne Der Defätist nennen wollte, was andere in der Band irgendwie zu gezwungen intellektuell fanden. Dann war noch der Begriff der Schweinelobby da, den fand ich irgendwie zu stumpf, kurz und dann fanden wir es irgendwie super logisch und lustig, das zu kombinieren. Und jetzt heißt er halt Schweinelobby (Der Defätist) und das finde ich super. Das ist tatsächlich wirklich so ein Durchwandern des Romans und meines Gefühls, das ich mit dem Roman hatte oder habe und so gesehen auch eine Verarbeitung der Rezeption. Der Text ist erst sehr spät entstanden, den habe ich wirklich gerade geschrieben gehabt, als es dann mit Messer wieder weiterging und ich diesen Gedichtband zusammengestellt habe, also der ist noch relativ frisch dafür, dass er schon in einem Buch erschienen ist. Und das war für mich einfach der Versuch, noch mal auf einer anderen poetischen Ebene durch die Romanerfahrung durchzurennen, in dem Fall und zu hasten und das irgendwie noch mal für mich zusammenzukriegen und auch so Motive noch mal zu besuchen. Und das mache ich vor allem, weil mir das auch Freude bereitet, und vielleicht auch manchmal Sachen, die in ihrer Komplexität für mich auch manchmal abstrakt bleiben, greifbarer zu kriegen. Also ein Song geht dann drei Minuten und ist für mich dann eine Möglichkeit, auch einen Roman noch mal irgendwie besser irgendwie anfassen zu können oder so. Ja. So ungefähr.

Q: Ich finde das total nachvollziehbar. Ja, und ich liebe das halt auch so, dass man da verschiedene Sachen entdecken kann und dass sich das aber auch trotzdem so natürlich entwickelt hat. Zur Entwicklung passt dann eigentlich auch ganz gut die nächste Frage, weil heute Abend ist ja der Tourauftakt in Münster im Gleis 22 und das sind ja auch ein bisschen eure Ursprünge. Wie ist es für euch, jetzt heute den Tourauftakt in Münster zu haben? War euch das wichtig, dass das jetzt das erste Konzert ist?

Pogo McCartney: Also ich weiß nicht, ob es jetzt so wichtig war, dass es das erste Konzert wird, aber es war wichtig, dass es stattfindet. Ich hatte gerade noch das Gespräch, witzigerweise. Danke für die Frage. Mit Holger, das Urgestein aus dem Gleis 22, der Tontechniker, der uns immer den tollen Sound hier beschert, mit dem Haustechniker und Milek, unser Gitarrist, der ja auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, also ein paar Jahre Konzerterfahrung, auch schon lange im Gleis ist. Wir haben kurz gerätselt und ich bin ungefähr so grob überschlagen darauf gekommen, dass es mein zwanzigstes Gleis-Konzert sein könnte. Also nicht nur mit Messer, auch mit anderen Bands, die ich vorher hatte. Was natürlich auch ein wunderschönes Jubiläum ist. Und umso schöner ist es natürlich dann, zu diesem Ort zurückzukehren und immer wieder hier zu sein. Immer wieder die netten Leute, die man über Jahre hinweg kennt, zu sehen, dass die Bock drauf haben und dementsprechend ist das ja so ein bisschen Wohnzimmer-Feeling, also insofern ist das total schön.

Q: Ja, kann ich mir vorstellen, dass es dann auch schon so was richtig Vertrautes hat, dann auch wieder hier zu sein. Beeinflusst es euren Auftritt denn, je nachdem wo ihr spielt? Also habt ihr das Gefühl, das ist heute vielleicht noch mal anders als in irgendeiner anderen Stadt, wo ihr vielleicht einen ganz anderen Bezug zu habt.

Pogo McCartney: Absolut. Heute kommen so viele Freunde und Familienangehörige, das ist was ganz anderes, als ob man in Nürnberg spielt. Also nichts gegen Nürnberg. Da kenne ich aber nicht so viele Leute wie hier in Münster und das ist einfach ein Unterschied. Also mit mir macht das jedenfalls was. Und dann bin ich meistens ein bisschen aufgeregter.

Hendrik Otremba: Ich finde es auch viel aufregender, aber irgendwie nicht die Zeit auf der Bühne. Die wird heute aufregend, wegen den vielen Premieren an Stücken gemessen. Ich finde vor allem eher davor und danach bin ich immer sehr unruhig, weil ich so viele Leute kenne, weil wir einfach hier leben, gelebt haben, arbeiten usw. und dann sind einfach viele Leute da und irgendwie hat man dann immer den Drang, mit allen zu sprechen, und schafft das nicht. Und dann will man aber irgendwie allen gerecht werden und eigentlich wissen die Leute ja, an so einem Abend kann man nicht irgendwie für alle Zeit haben und vielleicht wollen die auch nicht mit einem sprechen oder so, aber ich bin immer sehr unruhig, weil ich allen irgendwie gerecht werden will, auch wenn das eigentlich keiner erwartet. Und das ist natürlich in Städten, in denen ich nicht so viele Leute kenne, ein bisschen einfacher. Da setzt man sich dann mit der einen Person, die man kennt, hin und redet eine Stunde und entspannt sich und hier, ich bin immer sehr hektisch bei den Konzerten in Münster und in Berlin und in Hamburg, weil das so die Städte sind, in denen welche von uns leben und wo wir dann einfach viele Leute kennen. Aber letztlich ist das auch was Schönes. Also die Leute sind da und man freut sich auch darüber, dass die einen ernst nehmen und sehen und hören wollen. Genau. Nur es ist manchmal aufregend. Ja.

Q: Ja, auch total verständlich. Aber es wird bestimmt dann sehr schön, heute Abend alle wieder zu treffen. Wenn ihr dann so aufgeregt seid, wie du meintest, habt ihr dann, typische Frage, aber irgendein Ritual, was euch runterbringt, irgendwas, was ihr auf Tour macht, was euch hilft?

Hendrik Otremba: Ja, also jeden Abend vor dem Betreten der Bühne, in den Minuten davor gibt es ein Ritual, das wir uns, wie man das vielleicht auch irgendwie denkt, das Rockbands das machen, einfach so im Kreis Schulter an Schulter uns umarmend zusammenstellen und Pogo, den ich ohnehin als gute Seele der Band Messer begreife, Mentor, Souverän, der macht immer mit einer gewissen humoristischen Note so eine kleine, einspielende Ansage. Das spürt man wirklich. Alle sind am Anfang so ein bisschen noch verkrampft angespannt und dann erzählt Pogo was, und dann müssen alle lachen, weil es sau witzig ist. Und dann merkt man irgendwie, dass so ein euphorischer Schub durch uns Vier geht. Und dann geht man wirklich entspannter auf die Bühne. Das ist unser Ritual. Das macht sehr viel Spaß und das ist sau witzig. Für uns zumindest. Vielleicht würden Außenstehende, wenn die das mal irgendwie beobachten oder mitbekommen, auch einfach nie wieder auf ein Konzert von uns kommen. Das weiß ich nicht.

Pogo McCartney: Ja Hendrik, danke, dass du schon mal Werbung machst. Also neben unserem Detektivbüro wollte ich jetzt auch Mentalcoach werden. Deswegen ist es super, dass du schon mal so einleitest. Danke!

Q: Ja, das klingt auf jeden Fall nach einem sehr schönen Ritual. Also ist denke ich mal gut zum locker werden. Ich kann mir auch vorstellen, dass man es in der Menge gut merkt, dass auch die ganze Band energetisch schon auf die Bühne kommt.

Hendrik Otremba: Hoffentlich.

Q: Worauf freut ihr euch denn bei dieser Tour jetzt am meisten oder was für Erwartungen habt ihr jetzt so?

Pogo McCartney: Also nach so langer Zeit Musik machen in einem Indie-Rock-Segment sind die Erwartungen ganz weit unten. Reiner Selbstschutz. Deswegen würde ich da gar nicht so ausführen. Also ich ich freue mich total, weil das jetzt wirklich lange nicht war durch diese verdammte Corona-Geschichte, wo wir immer nur so vereinzelt Nachholkonzerte unter anderen Vorzeichen irgendwie spielen konnten, dass das jetzt mal wieder so ist, dass wir mit einer Platte im Gepäck auf Tour gehen, zusammen im Bus sitzen. Wir sind ja nicht nur Bandkollegen, wir sind auch gute Freunde und dementsprechend ist das einfach eine wahnsinnig gute Zeit, die man miteinander hat und auch noch eine wahnsinnig witzige Zeit. Und da freue ich mich am meisten drauf.

Hendrik Otremba: Das geht mir genauso und ich freue mich speziell diesmal, dadurch dass wir auch so lange nicht auf Tour waren, darüber, dass ich vorbereiteter in die Tour gehe. Also ich habe irgendwie meine Sachen viel bedachter gepackt. Ich hab mir für mich selber so Rituale vorgenommen. Ich will ein bisschen mehr auf mich Acht geben. Ja, ich habe irgendwie das Gefühl, ich habe die Zeit jetzt genutzt, um mich so ein bisschen besser für die Tour aufzustellen und bin gespannt, ob das klappt. Aber irgendwie freue ich mich darauf, mich professioneller zu verhalten, vor mir selber sozusagen. Es klingt ein bisschen bescheuert und ist auch ein bisschen bescheuert, aber so ist es.

Pogo McCartney: Du bist so erwachsen, Hendrik.

Hendrik Otremba: Genau! Ich möchte mal jetzt mit fast 40 ein bisschen erwachsener in eine Tour gehen. Zumindest will ich’s mal probieren.

Pogo McCartney: Ja, aber da fällt mir auch gerade ein, ich habe mir so eine Art Survival Kit zusammengestellt. Da freue ich mich auch total drauf, das mit auf Tour zu nehmen. Das ist so eine Butterbrotdose mit den wichtigsten Dingen, so eine Nähnadel zum Beispiel, eine Powerbank, ein Handy-Aufladekabel, ein Opinel-Messer, so Kleinigkeiten. Und das habe ich das erste Mal so richtig profimäßig beisammen und freue mich auch total, das mitzunehmen.

Hendrik Otremba: Also genau das meine ich. Warum hast du mir das nicht vorher erzählt? Dann hätten wir uns eine Kiste teilen können.

Pogo McCartney: Okay, wir organisieren das noch mal um.

Q: Das klingt wirklich sehr, als hätte man sein Leben richtig im Griff.

Hendrik Otremba: Total. Schaut uns an! Wir haben unser Leben im Griff.

Pogo McCartney: Ihr müsst wissen, die Gruppe Messer, das ist wirklich eine Proto-Hochstaplerband. Also, deswegen wär ich mir nicht so sicher.

Q: Das sind doch schon mal gute Voraussetzungen. Ein Survival-Kit, da kann ja nicht mehr ganz so viel schiefgehen.

Pogo McCartney: Deswegen haben wir es ja dabei.

Q: Wir wünschen auf jeden Fall schon mal ganz viel Spaß und viel Erfolg bei der Tour, dass ihr professioneller euch gegenüber sein könnt und natürlich auch einfach, dass die Leute Spaß haben, dass ihr eine gute Zeit habt, aber ich denke mal, dass das auf jeden Fall eine schöne Tour wird. Und auch heute dann im Gleis 22 ein guter Tourauftakt. Wir haben noch eine letzte Frage an euch, die uns einfach so noch interessiert. Und zwar, was war eure letzte musikalische Neuentdeckung, die ihr vielleicht auch empfehlen könntet?

Hendrik Otremba: Ich bin gestolpert über so einen Typ, also ich habe mit meiner Soloplatte einen Auftritt gehabt, in Duisburg auf einem Festival und da war mir Backstage eine Gruppe von jungen Leuten aufgefallen, die wahnsinnig komisch gekleidet waren. Also der eine sah so aus wie wie das Kind von The Prodigy oder so und irgendwie der andere sah so aus wie der Sohn von Caspar Brötzmann und die sahen irgendwie total merkwürdig aus. Und man merkte, das sind so junge Wilde, die brennen gerade total. Und dann kriegte ich mit, das ist dieser Nils Keppel und seine Leute. Und das ist so ein junger Musiker, der lebt in Leipzig, wird protegiert von so Leuten wie Max Gruber, und Max Rieger hat, glaube ich, auch so ein bisschen in der Produktion seine Finger im Spiel und ich glaube, der ist noch so ein bisschen Geheimtipp. Aber man merkt irgendwie, der kommt so ein bisschen rum. Und ja, ich fand ihn irgendwie interessant und hab mir das dann angehört. Es gab nur so ein paar Stücke von dem im Netz und das hat mich total begeistert und umgehauen, weil das irgendwie weit darüber hinausgeht, was man als junger Wilder sonst vielleicht so fabriziert, weil ich schon sehe, dass der irgendwie was zu erzählen hat und dass der auch vom Songwriting irgendwie spannend ist. Und das gefiel mir. Und dann hatte ich auch den Eindruck, dass viele Referenzen und Einflüsse, die für mich auch eine Rolle gespielt haben, für den vielleicht auch eine Rolle spielen und sah den so ein bisschen als kleinen Bruder im Geiste oder so was. Genau. Und der hat vor ein paar Tagen seine erste EP mit ein paar mehr Songs rausgebracht und da hat sich mir das sehr bestätigt, weil die hat mich echt umgehauen. Also Nils Keppel, ein junger Musiker mit seiner Band aus Leipzig, und ich habe ihm vorhin geschrieben, wir haben uns kennengelernt und angefreundet, weil ich habe gesehen, dass die EP jetzt auf Kassette rausgebracht wird und ich habe direkt mir eine reserviert. Die heile Welt heißt diese EP. Die finde ich ganz toll.

Pogo McCartney: Ja, ich habe gerade noch mal geguckt, was ich so seit seit zwei, drei Wochen wirklich rauf und runter höre. The Budos Band Long in the Tooth ist ein Album von 2020, also die Band gibt’s schon lange, die haben auch wirklich auch vorher schon richtig gute Alben gemacht. Seit 25 Jahren gibt es die, glaube ich, aber ich habe das letzte Album jetzt erst für mich so richtig entdeckt und es ist wahnsinnig tolle, so cineastische Instrumentalmusik mit wahnsinnig schönen Bläsersätzen. Und die baut halt einfach eine wahnsinnig schöne, also schön im Sinne von auch beängstigend teilweise, Stimmung auf. Und das habe ich wirklich in den letzten Wochen rauf und runter gehört.

Q: Vielen Dank für die Empfehlung. Da werden wir auf jeden Fall mal reinhören. Dann war’s das schon. Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt.

Hendrik Otremba: Wir danken auch für die schönen Fragen und das schöne Gespräch.

Das Interview führten Anika Hagen und Carlotta Aupke