Nachbericht Spektrum Festival 2022
Geschrieben von Anne Waack an 2. Januar 2023
Zum Jahreswechsel hin werde ich, wie viele, immer ein bisschen melancholisch. Was hat mich das letzte Jahr bewegt? An welche Momente denke ich immer wieder gerne zurück? Aber auch: Worauf kann ich mich im nächsten Jahr freuen?
Der 6. August scheint mir momentan ganz weit entfernt. Sommer, Sonne, Spektrum Festival 2022. Ich mache die Augen zu, versuche die Weihnachtsmusik aus meinen Ohren zu kriegen und erlebe den Tag noch einmal nach. Unter den 8.000 Besucher*innen ströme auch ich an diesem Samstagnachmittag auf das Dockgelände in Hamburg-Wilhelmsburg. Auf drei Bühnen – Oberdeck, Maschinenraum, Klüse – treten heute große deutsche Hip-Hop und Rap Künstler*innen zusammen mit vielversprechenden Newcomer*innen auf. Das Line Up klingt vielversprechend und geht direkt um 14 Uhr los. Ich muss mir aber erstmal ne kühle Erfrischung holen.
Den Start macht der Berliner Newcomer Apsilon. Seine Texte sind systemkritisch und treffen den Geschmack des jungen Publikums. Kapitalismuskritik, Nazis und Polizeigewalt sind keine einfachen Themen. Apsilon rappt über sie “ohne erhobenen moralischen Zeigefinger” und lässt das Publikum einfach an seiner Lebensrealität teilhaben. So früh am Tag setzt er die Messlatte ziemlich hoch. Auf dem Oberdeck folgt Tom Hengst und reißt mich aus meiner nachdenklichen Stimmung zu Apsilons Act. Das Festivalgelände füllt sich und die ersten Moshpits starten.
Den ganzen Tag über werde ich hin- und hergerissen sein zwischen tiefgründigen Texten und allgemeiner Partystimmung. Während Tom Hengst von seinem – größtenteils männlichen – Publikum abgefeiert wird, gehe ich rüber zum Maschinenraum, wo Bounty & Cocoa auftreten. Hier fühle ich mich direkt wohler, denn hier haben sich die weiblichen Festivalbesucher*innen versammelt. Es wird mitgesungen, mitgetwerkt und aufeinander acht gegeben. Bounty & Cocoa sorgen mit ihrem sexpositiven Rap für feuchtfröhliche Stimmung und kommen sogar ins Publikum, um mit ihren Fans zu tanzen. Man merkt den beiden an, wie sehr sie sich ins Zeug legen, um allen eine gute Show zu bieten und das gelingt ihnen auch.
Um kurz vor 6 kommt wieder eine Gruppe auf die Bühne, diesmal jedoch rein männlich: die Boloboys. Die Gruppe besteht aus, makko, Sin Davis, CAN MIT ME$$R, toobrokeforfiji, beslik meister, okfella und Loco Candy. Die Namen lassen es erahnen, da oben auf der Bühne steht ne ziemlich bunte Truppe an Jungs mit viel Talent. Die HipHop-Crew verbindet die Liebe zum Skaten und zu ihrer Musik. Sie haben Spaß bei dem, was sie tun und das Publikum hat fast genauso viel Spaß, ihnen dabei zuzugucken, trotz dem Einsatz von ganz schön viel Playback. Die nächste Künstlerin braucht definitiv kein Playback. Die Münsteraner Rapperin Layla hat gerade ihre erste Tour hinter sich und ist geübt darin, live zu performen. Sie bringt etwas Ruhe in den Rapzirkus, aber hat leider eine ungünstige Auftrittszeit erwischt, denn gleichzeitig tritt auf einer anderen Bühne Disarstar auf. Dieser genießt sein Heimspiel in Hamburg sichtlich. Während er über Marxismus und Depressionen rappt, geht die Sonne langsam hinterm Deich unter – als hätten es die Veranstalter*innen so inszeniert.
Während OG Keemo im Maschinenraum für Stimmung sorgt, brauche ich erstmal eine Pause, um meine heutigen Eindrücke zu verarbeiten. Oben auf dem Deich hat man einen guten Blick auf die beiden größten Stages und etwas Ruhe zum Energie tanken. Die brauche ich auch, denn das Programm geht straff weiter mit Symba und Lugatti & 9ine. Das absolute Highlight wurde aber bis zum Ende aufgespart. Um kurz nach 23 Uhr betritt badmómzjay das Oberdeck und es fühlt sich an, als hätten sich alle 8.000 Besucher*innen dort versammelt. Eine Stunde lang zeigt sie, warum sie momentan der Stern am deutschen Rap-Himmel ist. Sie spielt nicht nur ihre bekanntesten Songs, sondern auch das gerade erst veröffentlichte Intro zu ihrem neuen Album. Sie stellt ihre männliche Konkurrenz in den Schatten und das weiß sie auch: “Rapper schieben Welle, weil ich rappe und das haten sie. Doch Rapper, die mich haten, könn’n auf Festivals nur Playback spiel’n”.
Ich mache meine Augen wieder auf. Draußen ist es dunkel, kalt und nass. Der Sommertag vom Spektrum 2022 kommt mir jetzt vor wie ein Fiebertraum. Die eine Frage hallt noch in meinem Kopf nach: Worauf kann ich mich im nächsten Jahr freuen? Die Antwort wird euch wohl nicht mehr überraschen: das Spektrum Festival 2023. Das Line Up steht zwar noch nicht ganz fest, man darf sich aber schonmal auf Luciano, Nura und Babyjoy freuen.