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Albenrezension: Dino Brandão – Bouncy Castle

Geschrieben von am 29. Januar 2022

Wenn schon Retro, dann schräg! Newcomer Dino Brandão entführt mit seiner im November 2021 erschienenen EP „Bouncy Castle“ in surreal anmutende Animationswelten und fasziniert mit absurden Inhalten, die gesellschaftskritisch aufblitzen.

Nachdem er zunächst mit seiner Band „Frank Powers“ vor allem im Zürcher Umfeld Musik machte und drei Alben aufnahm, bildete er danach ein Trio mit Sophie Hunger und Faber und macht mit seiner EP nun einen weiteren Schritt Richtung Solokarriere.

Repetitive Melodien, die aus ähnlich gestrickten Motiven bestehen und sich in Endlosschleifen zu wiederholen scheinen, sind modernes Stilmittel und mitverantwortlich für den Retrosound, mit dem uns Brandão umhüllt. Ähnliche Stilmittel lassen sich beispielsweise bei der französischen Popgruppe „La Femme“ heraushören. Unter dieser Klangdecke wirkt die Welt ebenmäßig schwebend. Es ist eine Art Parallelwelt, in der sich unsere Eigene zu spiegeln scheint, weil er so grundlegende Themen anspricht. Diese sind im Gegensatz zum Retrosound unfassbar aktuell. In nur fünf Songs beschreibt Brandão die Psyche als „bouncy castle“, liefert Kritik an der Kirche und an globalen Machtstrukturen und schließt mit seinem persönlichen Verständnis von Kunst.

Eine Hülle und Fülle an Metaphern und Rhetorik

Die EP startet mit dem titelgebenden Song Bouncy Castle. Die Melodie hüpft hin und her, fast kinderliedartig. Eher im Hintergrund erwecken die Percussion-Instrumente den Eindruck eines Ein- und Ausatmens. Er stellt in der ersten und zweiten Strophe fest…

„My psyche is a bouncy castle, I’ll let you jump in“ und „My body is a bouncy castle I’ve let you jump in“.

“Bouncy Castle”

Den Sog, den das Lied durch seine einfache Melodie und die Rhythmuspattern entfaltet, hat auch etwas von Stabilität. Diese scheint bestätigt durch ein zwischenzeitlich kurzes Einbrechen. Es ist nur noch er und die Rhythmusgruppe, die laut und ruppig-abgehackt spielt und dadurch wie eine Handyleitung bei sehr schlechtem WLAN-Empfang klingt. Sein Inneres wird ständig erschüttert durch die Personen, denen er in seinem Leben begegnet ist und die er in sein Leben gelassen hat. Auch hier eignet sich das Bild der Hüpfburg. Sie bringen ihn aus dem Gleichgewicht, er ermahnt sich also zum Ein- und Ausatmen, um seine Stabilität wieder zu erlangen.

Auch das zweite Lied des Albums Decoration präsentiert sich mit stark durchdachten Lyrics und ungewöhnlichen Metaphern, die zum Nachdenken verleiten. Es lebt von einem starken rhythmischen Gitarrenpattern, das im Laufe des Liedes immer präsenter, stärker und damit wilder wird. Der Song beginnt mit einem space-artigen Flimmern, der Bass leitet das bedrohlich wirkende Rhythmus-Pattern ein und unterbricht sich, um der ersten Strophe Raum zu geben und setzt erneut gemeinsam mit dem Refrain ein. Beim letzten Refrain jault die Gitarre, fast ein bisschen schmerzlich, fast ein bisschen genüsslich. Das Musikvideo rundet die messerscharfe Kritik ab und gibt dem Lied unerwartete Tiefe: Es geht um die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche und ihren auch gleichgültigen Umgang damit “The world’s having a tantrum and I don’t care.” “Die Welt hat einen kindlichen Wutanfall und es ist mir egal.”

Luxus, Macht und (innere) Machtlosigkeit

Das Musikvideo zu Pretty sieht aus wie ein surrealistisches Mario Kart Spiel und wirkt genauso verrückt, vielschichtig und unzusammenpassend wie die hier angesprochene Problematik. Es geht um die Absurdität, dass riesige Konzerne das Wasser in Regionen verknappen, die eigentlich selbst Anspruch darauf hätten.

Ständige Weltreisen sind Normalität für viele unter uns und Ausdruck ökonomischen Könnens und Müssens. Macht durch ökonomische Möglichkeiten, gepaart mit innerer Machtlosigkeit durch einen Mangel an Halt. Das spricht er im vierten Lied des Albums mit Spending Parade an. Beide Lieder sind zwischendurch von Bläserchören begleitet und schlagen eine poppigere, undefiniertere Seite auf. Während Spending Parade dahindudelt, macht sich fast automatisch eine Gleichgültigkeit in einem breit.

Die Kunst finden

Unkonventionell und ungefiltert nimmt er uns zuletzt mit in ein durch ihn kreiertes offenes Kunstwerk: The Arts. Die Ozeanreferenzen seiner Lyrics spiegeln sich in sanfter Elektronische Farbenmalerei. Wie Schall, der sich in Wellen verbreitet. Das Ganze ist begleitet von einem unterschwelligen Dröhnen. Das wirkt als wäre man unter Wasser, in einem Raum, wo nichts ist, nur Unendlichkeit und Schweben. Nur seine Stimme ertönt klar. Brandão traut sich, ganz frei zu singen. So zart und ungebunden hört man das normalerweise bei der französischen Sängerin Pomme. Brandão bezieht sich außerdem auf eine Künstlerin, die als eine der größten der Musikwelt überhaupt gilt: Amy Winehouse. Er spielt mit Lost in devotion for what I didn’t dare to name life’s a losing game / Lose and gainmit ihren Lyrics. Die instrumentale Interlude ist jazzig und wirkt ungebändigt und abgespaced. Er scheut also auch stilistisch nicht vor völliger Ungebundenheit zurück und endet passenderweise mit „I found the arts.“

Dino Brandão liefert mit einem beeindruckenden Spektrum an Themen und der jeweils so unterschiedlichen Vertonung davon wie das jeweilige Thema eine starke Debüt-EP.  Seine Songs bieten einerseits eine riesige Fläche für Interpretation, manche sind messerscharfe Kritik. Mit sattem Retro ist er Ausdruck seiner Zeit und versackt mit kreativen, spielerischen Klängen nicht im Mainstream – höchstens in seiner eigenen Welt, die so schillert, dass man fast automatisch auch eigene Lebensfarben in ihr entdeckt.

Rezensiert von Katharina Rücker.