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Interview mit Leoniden

Geschrieben von am 18. Oktober 2017

Spätestens seit Ende letzten Jahres gilt das Kieler Indie-Quintett Leoniden als Geheimtipp. Wir haben uns mit Sänger Jakob Amr (vierter von links) und Gitarrist Lennart Eicke (Mitte) unter anderem über ihr selbstbetiteltes Debütalbum und die Aufgabe von Musiklabels in der heutigen Zeit unterhalten.

Eigentlich spreche ich eine Band nie auf ihren Namen an, aber weil wir ja quasi Namensgeschwister sind, muss ich “leider” eine Ausnahme machen. Deswegen die ganz einfache Frage: Wo kommt der Name her? Hier in der Redaktion wurde zum Beispiel auch gerätselt, ob das etwas mit den Kriegern des Königs Leonidas zu tun hat.

Jakob: Das habe ich noch nicht gehört.

Lennart: Ich auch nicht, aber ich weiß auch gar nicht, wer die sind.

Kennt man vielleicht aus dem Film “300”.

Jakob: Lennart guckt generell keine Filme, deswegen kann der mit “300” nichts anfangen – außer, dass er weiß, dass es höher als 299 ist [lacht].

Lennart: Ich weiß auch, dass es ein Film ist, wo die sich alle verkloppen.

Jakob: Genau! Haben wir uns danach benannt?

Lennart: Nee. Ich weiß nicht, wo der Name herkam. Der ist schon ganz lange da, wir fanden ihn gut und er hat einfach überstanden. Der war auf einmal da. Ich muss dich leider enttäuschen, da ist jetzt keine romantische Geschichte hinter. Wir werden häufig danach gefragt, ob das was mit den Sternschnuppen zu tun hat – hat es aber nicht.

Jakob: Aber es ist trotzdem schön, dass es auch was damit zu tun haben könnte.

Leoniden ist nicht euer erstes Projekt, ihr habt euch schon bei anderen ein bisschen ausgetobt – unter anderem bei Zinnschauer. Ist da eigentlich eine Reunion beziehungsweise eine Reanimation in Sicht? Oder wollt ihr euch erstmal nur auf Leoniden konzentrieren?

Jakob: Zinnschauer ist nie aufgelöst worden, ich mache das mit zwei anderen Leuten zusammen. Ich habe mich aber total überzeugt dafür entschieden, mich jetzt um Leoniden zu kümmern. Wenn ich Zeit habe, stecke ich die auch da noch rein, aber gerade habe ich die nicht. Wir haben uns aber definitiv nicht aufgelöst, es gibt nur einfach weder Album, noch Tourtermine. Aber das kommt schon irgendwann noch. Ich empfehle aber allen Zinnschauer-Fans, sich Leoniden mal richtig, richtig gut anzuhören und mal zu einem Konzert zu kommen.

Wir haben eben auch zwei Songs von eurem selbstbetitelten Debütalbum hier im Studio aufgenommen, “Nevermind” und “The Tired”, und dabei deine Stimme nicht extra über ein separates Mikro aufgenommen, Jakob, was uns beide sehr an die Machart von Captain Planet erinnert hat, was wir ja beide echt cool finden.

Jakob: Ja, stimmt. Ich glaube aber, dass Captain Planet die Stimme schon extra aufgenommen haben, sie dann aber im Nachhinein sehr gut untergemischt haben. Bei uns hat es aber sehr lange gedauert, bis wir die Stimme überhaupt so laut machen wollten wie sie jetzt auf dem Album ist. Da heftet uns wahrscheinlich noch dieses DIY-Punk-Ding sehr an, dass wir immer noch die Tendenz haben, die Stimme ein bisschen leiser zu machen.

Lennart: Eben so, wie wir das von den Punk-Platten, die wir hören beziehungsweise gehört haben, gewohnt sind.

Jakob: Und wie wir es auch von Musik gewohnt sind, die man früher nicht so gut fand. Wo man früher gesagt hat, das sei ja Popmusik. Aber dem Album tut es total gut, dass man die Stimme so gut versteht. Es gibt zwar auch Passagen, wo sie ein bisschen leiser gemischt ist, wo es passt. Aber es ist schon die richtige Entscheidung gewesen. Wir haben lange diskutiert.

Wie lange gingen die Diskussionen?

Jakob: Wir diskutieren über alles. Also wirklich über alles. Von jedem musikalischen Detail…

Lennart: [unterbricht] …bis hin zu jedem unmusikalischen Detail. Wir waren mehr als zwölf Wochen im Studio und da wurde das dann einfach so entschieden, das hat einfach besser in die Produktion gepasst. Die Produktion war insgesamt sehr aufwändig und arbeitsintensiv, weil wir teilweise 150 Spuren aufgenommen und alles ganz ausführlich und sauber und ein bisschen größenwahnsinnig aufgezogen haben. Und da haben dann auch die beiden Produzenten, mit denen wir gearbeitet haben, mitentschieden.

Jakob: Das waren Kristian Kühl von Findus und Helge Hasselberg von Trümmer.

Lennart: Das sind Kumpels von uns und die haben aufgenommen, den Sound gemacht, gemischt und da wahnsinnig viel Arbeit reingesteckt.

Jakob: Und sehr viel von unserer Kritik aushalten müssen. Auf jeder Feedback-Liste stand, der Gesang müsse leiser. Dann gab es ein Telefonat: “Nein, der bleibt so laut“.

Lennart: Wenn du eine so große und aufwändige Produktion machst, passt es vielleicht auch einfach nicht, wenn man den Gesang wie bei einer Garage-Punk-Platte ganz nach hinten mischt.

Das klingt nach absolutem Perfektionismus.

Jakob: Das ist ein Lob für uns [lacht].

Ihr habt vor ein paar Monaten auch schon eine EP mit vier Songs rausgebracht, “Two Peace Signs”. Und ebendiese vier Songs sind jetzt auch nochmal allesamt auf dem Album – warum?

Lennart: Die EP war sowas wie ein Test-Ballon – wir machen das ja alles selbst, haben ja auch unser eigenes Label. Wir mussten erstmal gucken, wie weit wir damit überhaupt kommen und wie das so ankommt. Das war ein Grund. Der andere war: Man hat nur eine Debüt-Platte! Auf der EP sind wahnsinnig wichtige Lieder und wir hätten nicht damit leben können, dass diese Debüt-Platte ohne diese vier Lieder rauskommt.

Jakob: Als wir die EP rausgebracht haben, hatten wir auch schon eine Beta-Version vom Album aufgenommen – da waren noch nicht alle Songs drauf, sondern auch noch ein paar andere – und wir waren da auch ungewohnt ungeduldig und waren kurz davor, das Album rauszuhauen. Wir haben uns dann aber dafür entschieden, erstmal nur eine EP zu veröffentlichen, haben geguckt, wie es ankommt und sind dann nochmal ins Studio gegangen und haben das Album dann noch ein bisschen verändert.

Lennart: Die vier Songs sind in genau der Version aber auch schon auf der EP, die haben wir nicht nochmal neu aufgenommen. Es gab übrigens auch viele Diskussionen, bis wir uns auf diese vier Songs einigen konnten.

Wie entscheidet ihr denn letzten Endes, wie was gemacht wird? Ihr seid zu fünft – geht das dann klassisch demokratisch zu?

Lennart: Wir lösen Dinge eigentlich nie demokratisch. Es wird immer versucht, einen Konsens zu finden. Es ist blöd, wenn vier einer Meinung sind und ein Fünfter das komplett gegenteilig machen möchte. Da muss man irgendwie einen Mittelweg finden oder den anderen überzeugen. Wir stimmen eigentlich so gut wie nie ab und sagen dann “Pech gehabt, überstimmt, leb’ damit“.

Du hast gerade schon euer Label angesprochen, Lennart – Two Peace Signs Records. Habt ihr das nur für euch gegründet oder wollt ihr darüber tatsächlich auch noch die Musik von anderen Leuten veröffentlichen?

Jakob: Also die Idee ist wunderschön, wenn man sich vorstellt, dass wir in fünf Jahren unseren eigenen Turm in Kiel stehen haben, den Two Peace Signs-Tower, und da alle unsere Freunde mit ihrer Musik rein- und raufkommen.

Lennart: Aber jetzt gerade haben wir das nur für uns gemacht und checken erstmal, was das für ein Arbeitsaufwand ist. Wir haben aber auch schon abschätzen können, was das für ein Arbeitsaufwand ist. Selbst wenn die beste Band der Welt in unserem Freundeskreis wäre, würden wir das nicht packen.

Man würde wahrscheinlich auch sehr schnell insolvent werden, oder?

Lennart: Ja!

Jakob: Willst du mal unser Konto sehen [lacht]? Das sind auf jeden Fall nicht so die schwarzen Zahlen.

Lennart: Aber man muss dazu ja auch sagen: Was macht ein Label eigentlich? Die pressen die CDs, aber du kannst auch ohne ein Label eine Promo-Agentur anheuern, einen Manager holen, eine Booking-Agentur holen. Ein Label kauft eigentlich nur die Platten beim Presswerk. Ich glaube, die Zeiten sind vorbei, dass man in einen Plattenladen geht und danach guckt, was auf einem bestimmten Label neu rausgekommen ist. Ich glaube, dass Labels heutzutage ein bisschen überflüssig sind.

Denkst du nicht, dass es mit einem Label einfacher ist?

Jakob: Ich glaube, man muss sich angucken, was ein Label wirklich macht. Wenn man sich an die 90er zurückerinnert und da dann auf einer Platte Universal stand, hat die Welt sofort geschrien. Aber eigentlich sind Labels vor allem Geldgeber geworden. Lennart hat aber mal gesagt “Wo geht man eigentlich hin, wenn man Geld will? Zur Bank!

Lennart: Genau, du musst dich gar nicht mit einem Label einlassen. Wenn du Geld brauchst, kannst du dir einfach einen Kredit holen und den auch genauso gut da abzahlen. Manchmal ist das auch einfacher, glaube ich, weil eine Bank nicht mit irgendwelchen Bedingungen um die Ecke kommt und sich in deine Kunst einmischen. Es gibt sicher noch ein paar Labels, die als Marke funktionieren – Audiolith oder Grand Hotel van Cleef. Das sind wirklich Marken. Wenn da etwas rauskommt, wissen die Leute, dass es einen gewissen Standard hat oder in eine gewisse Musikrichtung passt, die man gut findet. Aber wenn du einfach ein Label gründest, ist das ja erstmal nichts, das ist ja keine Marke. Und die ganz großen Labels sind erstrecht keine Marken! Das sind Auffangbecken für alles. Sammelsurien für viele Dinge und große Dinge von bis. Aber keine Marken.

Spätestens seit Ende letzten Jahres seid ihr in aller Munde und gefühlt jedes Musikmagazin hat euch als einen “Geheimtipp” für 2017 genannt. Merkt ihr da jetzt schon einen gewissen Druck, weil ich solchen Erwartungen ausgesetzt seid?

Lennart: Wir freuen uns, wenn die Leute drüber sprechen, aber ich weiß nie, wie viele das wirklich sind.

Jakob: Es ist schon ein schönes Gefühl, die Szene im Rücken zu haben. In Kiel kriegen wir aber von so Hype-Sachen nicht so super viel mit, deswegen wäre ich damit vorsichtig. Jetzt in den letzten Wochen haben wir aber ganz viel zurückbekommen, Rezensionen und so. Es freut mich aber echt, das zu hören, weil wir echt seit zwei Jahren da mega dran arbeiten. Aber Druck macht das gar nicht, finde ich. Ich habe eher ein bisschen Angst davor, dass jemandem einen zu starken Hype passieren könnte. Das sehe ich bei uns aber nicht.

Die Erwartungshaltung ist auch nicht zu hoch?

Jakob: Naja, wir haben ja jetzt ein Album rausgebracht, jetzt können wir eh nichts mehr dran ändern [lacht]. Dann spielen wir jetzt noch einen Haufen Konzerte. Ich wüsste eigentlich nicht, was wir groß falsch machen könnten – außer auf Tour einen Autounfall zu haben.

Lennart: Ja, eine Panne wäre blöd. Aber wir peilen ja nichts an. Wir setzen uns keine Ziele, an denen wir irgendwie scheitern könnten. Wir spielen jetzt eine Tour und sind da auch wahnsinnig stolz drauf und glücklich drüber, dass das alles geklappt hat. Es ist für uns überhaupt nicht selbstverständlich, dass der Vorverkauf funktioniert, die Leute Karten kaufen und auch tatsächlich hinkommen. Wir machen jahrelang Musik und sind eigentlich gewohnt, an Abenden zu spielen, wo drei oder vier Bands auftreten und das Ganze acht Euro Eintritt kostet. Wie das eben ist, wenn man Musik macht. Das ist jetzt alles neu und alles cool, aber wir wollen nicht zu einem bestimmten Punkt hin. Wir sagen nicht, wir müssten so und so viele Airplays im Radio haben oder so. Wenn es klappt, ist es cool. Wenn es nicht klappt, machen wir eben so weiter, wie wir es schon immer gemacht haben.

Jakob: Das Ziel für 2017 ist eigentlich schon erreicht. Wir spielen diese riesengroße Tour, wir spielen 32 Festivals – Stand jetzt. Nach dem Jahr sind wir dann wahrscheinlich ein bisschen müde und sehen zwölf Jahre älter aus, aber es wird geil gewesen sein. Wenn unser Booker uns jetzt sagen würde, er bekäme uns nirgends unter, würden wir uns wahrscheinlich schon ein bisschen Sorgen machen.

Lennart: Ich glaube, so einen Druck bekommt man, wenn man sich unter Umständen mit dem falschen Label einlässt und die sagen, wir müssten so und so viele Tausend Tonträger verkaufen, weil es sonst einfach gefloppt ist.

Wenn ihr schon als “Geheimtipp” geltet: Was sind eure Geheimtipps?

Jakob: Wir gehen mit richtig guten Freuden von uns auf Tour, I Salute. Manche Leute kennen das vielleicht wegen der Schrei-Punk-Band Paan oder Empty Guns, eine Indie-Band von früher. Manche kennen die auch gar nicht. Die machen richtig krass experimentellen Rap und Hip-Hop. Und sonst unbedingt auch noch Lingua Nada aus Leipzig! Das ist einfach hammer gute, moderne, quietschige Punkmusik. Frickelig ohne Ende.

Lennart: Ich würde noch Der Ringer aus Hamburg dazupacken. Die sind mega gut! Man muss sich drauf einlassen, ist aber eine spitzenmäßige Band!

Stellt euch zum Schluss nochmal vor, ihr würdet wie Tom Hanks auf einer einsamen Insel landen. Welche Platte würdet ihr mitnehmen?

Lennart: Ich würde unsere mitnehmen.

Jakob: Oh, das ist selbstverliebt, aber auch sweet!

Lennart: Ich finde, die ist echt gut geworden [lacht].

Jakob: Ja, stimmt schon. Wir haben aber auch zwei Jahre daran gearbeitet. Tage und Nächte durchgemacht.

Aber könnt ihr sie denn dann noch hören?

Jakob: Ja, und das ist das Schönste daran. Wenn man aus dem Bauch heraus Lieder schreibt, kann es sein, dass man sie einen Monat oder ein Jahr später nicht mehr richtig versteht. Aber diese Songs haben so viele Phasen durchgekaut – manche haben von Stadium A über B, C, D bis Z alles durchgemacht und haben jetzt nichts mehr mit dem Anfang zu tun. Die haben sich einfach gehalten. Ich weiß, dass es eine Platte ist, die ich in zehn Jahren noch gut finde. Wenn ich nicht die Leoniden-Platte mitnehmen würde, würde ich die “Relationship Of Command” von At The Drive-In mitnehmen.

Das Interview führte Leonie Wiethaup; Foto: Robin Hinsch


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