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Carl Philipp Emanuel Bach und die Empfindsamkeit

Geschrieben von am 29. Mai 2017

Der “Hamburger Bach” war zu Lebzeiten berühmter als sein Vater Johann Sebastian und prägte mit seinem “empfindsamen Stil” die Vorklassik.

Carl Philipp Emanuel Bach wurde am 8. März 1714 in Weimar geboren. Sein Vater Johann Sebastian Bach war damals bereits weit über die Stadtgrenzen als Kapellmeister am Weimarer Hof bekannt und mit dem Komponisten Georg Philipp Telemann befreundet. Ihm verdankt Carl Philipp Emanuel auch seinen zweiten Vornamen, denn Telemann wurde auch sein Taufpate. Diese enge Verbindung zwischen den Familien Bach und Telemann sollte im Leben von Carl Philipp Emanuel auch noch eine weitere Bedeutung bekommen. 1723 zog die Familie nach Leipzig, wo Carl Philipp Emanuel Schüler an der Thomasschule wurde. Wie auch alle anderen Bach Söhne erhielt Carl Philipp Emanuel von seinem Vater schon jung Klavier- und Orgelunterricht und wirkte mit 15 Jahren bereits regelmäßig an den Aufführungen seines Vaters mit.

1731 fing Carl Philipp Emanuel Bach ein Jura-Studium an, was für Musiker dieser Zeit nicht unüblich war. Händel und Telemann hatten auch schon ein Jura-Studium angefangen und Johann Sebastian Bach achtete auch immer darauf, dass seine Söhne umfassend gebildet waren. Außerdem verschaffte eine gute Ausbildung die Möglichkeit, später am Hof höhere Positionen bekommen zu können. Im gleichen Jahr fing Carl Philipp Emanuel Bach aber auch an, regelmäßig  zu komponieren. Das Leipziger Musikleben inspirierte ihn:
„Von Jugend an habe ich das besondere Glück gehabt, das Vortrefflichste von aller Art von Musik zu hören und sehr viele Bekanntschaften mit Meistern vom ersten Range zu machen, und zum Teil ihre Freundschaft zu erhalten. In meiner Jugend hatte ich diesen Vorteil schon in Leipzig, denn es reisete nicht leicht ein Meister in der Musik durch diesen Ort, ohne meinen Vater kennen zu lernen und sich vor ihm hören zu lassen.”
Trotzdem wechselte er 1733 die Universität und studierte weiter in Frankfurt an der Oder. Dort gab er neben seinem Studium auch regelmäßig Cembalo-Unterricht. In den nächsten vier Jahren komponierte Carl Philipp Emanuel zahlreiche Konzerte, Kammermusik und mehr als fünfzehn Sonaten. Aus seiner Autobiographie erfährt man:
„Ich habe sowohl eine musikalische Akademie als auch alle damals vorfallenden öffentlichen Musiken bei Feierlichkeiten dirigiert und komponiert.”
Dennoch vernichtete Carl Philipp Emanuel Bach viele seiner frühen Werke. Sie genügten seinem Anspruch nicht. Später schreibt er: „Vergeben Sie mir mein Geschwätze und Geschmier! Das Poßierlichste von allem ist die gnädige Vorsicht des Königes, wo durch Händels Jugendarbeiten bis aufs Äußerste verwahrt werden. Ich vergleiche mich gar nicht mit Händeln, doch habe ich vor kurzem ein Ries und mehr alte Arbeiten von mir verbrannt und freue mich, dass sie nicht mehr sind.”

Im Jahre 1738 passiert etwas Entscheidendes in seinem Leben: er wird vom dem noch damaligen Kronprinzen von Preußen nach Ruppin berufen um dort als Cembalist in der Hofkapelle zu arbeiten. In den darauffolgenden Jahren bewies er sich immer weiter als Clavierist und genoss einen hochangesehen Ruf am Hofe. Geschadet hatte es sicherlich auch nicht, dass ihn der im Jahre 1741 gekrönte König Friedrich der II, zum festangestellten Konzertcembalisten ernannte. Durch diese Hofkapelle, welche mit rund 40 Musikern eine der größten Kapellen Deutschlands war, machte Bach unter anderem Kontakt mit dem Violinist und Komponisten Johann Gottlieb Graun. Für Carl Philip Emanuel Bach waren die weiteren Jahre sehr von nutzen, da er sich in dieser künstlerischen und kreativen Umgebung verbessern konnte. Auch die ihm im Jahre 1742 zur Seite gestellten ‚zweiten Hofcembalisten’, brachten ihm die Möglichkeit sich weiter auf Kompositionen zu konzentrieren. So komponierte er während dieser Zeit am Hof zwei Werke, die heutzutage als stilbildend für die Gattung der Klaviersonate gelten. Zum einen die sechs Preußischen Sonaten (1742), die er dem König widmete und zum anderen die sechs Württembergischen Sonaten (1744). Diese widmete er dem Herzog Carl Eugen von Wüttemberg, dem er auch das Klavierspielen beibrachte.
In seinen Sonaten zeigt sich sein persönlicher Stil. Sie erfordern eine ambitionierte Spieltechnik, sind harmonisch gewagt und überraschend kontrastreich, teilweise formfrei. Darin zeigt sich die Idee der Aufklärung. Nicht nur das Menschenbild mit seinem Streben nach individueller und gesellschaftlicher Freiheit wandelt sich, auch die Komponisten wenden sich von der alten Musik mit ihren starren Regeln ab. Die gesanglich gestaltete Melodiestimme tritt in den Vordergrund und der Generalbass des Barock verschwindet. Die Begleitung wird auch zurückgenommen und so entwickelt sich ein neues Musikverständnis, das Carl Philipp Emanuel Bach entscheidend mitprägt.

Trotz allem Erfolgs missfiel im die Arbeit am Hofe immer mehr. Bach empfand seine Aufgabe nach all den Jahren als beengend und nicht mehr künstlerisch inspirierend. Auch seine Passagen in musikalischen Aufführungen in der Hofkapelle, die da drin bestanden sich leise im Hintergrund zu halten, entsprachen nicht seinen Vorstellungen. Trotz wachsener Bekanntheit, durch über hunderte verfasste Sonaten, fand er, dass er immer noch zu wenig Anerkennung von König und außerhalb des Hofes bekam. Im Jahre 1749 vollendete er schließlich eins seiner bis damals größten Werke: Das Magnificat. Es verschafft ihm auch auf dem Gebiet der Vokal- und Kirchenmusik weite Bekanntheit. Stilistisch unterscheidet es sich von dem Magnificat seines Vaters Johann Sebastian Bach, auch wenn es einige thematische, tonale und harmonische Ähnlichkeiten gibt. Es zeigt sich aber Carl Philipp Emanuels eigener Stil, losgelöst von seinem Vater: Der sogenannte „empfindsame Stil”. Als Parallel zum Sturm und Drang in der Literatur schafft Bach hier als „Klopstock der Töne” eine stark subjektive Gestaltung. Es geht darum, seelische Gehalte zum Ausdruck zu bringen und weniger den Pathos und Affekt des Barock.

Trotz des künstlerischen Talents, welches auch seine Kollegen in ihm sahen, ließ ihn der König Friedrich II weiterhin klein. Regelmäßiger spielte er mit dem Gedanken Berlin zu verlassen, wie er selbst ihm nachhinein behauptete:
“Bis 1767 im November, bin ich beständig in preußischen Diensten geblieben, ohngeachtet ich ein paarmal Gelegenheit hatte, vorteilhaften Rufen anderswohin zu folgen. Seine Majestät waren so gnädig, alles dieses durch eine ansehnliche Zulage meines Gehalts zu vereiteln”.

Auch noch in seiner Zeit in Berlin erschien 1753 sein berühmtes Buch „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen”. In diesem Buch besprach Carl Philipp Emanuel musiktheoretische und musikpraktische Fragestellungen, die weit über die Klaviermusik hinausgehen. Es gilt als das einflussreichste deutschsprachige Musiklehrwerk dieser Zeit und ist bis heute lesenswert. Denn es geht nicht nur um technische Fragen sondern, knüpft quasi an seinen empfindsamen Stil an, denn er schreibt:
„Aus der Seele muss man ­spielen und nicht wie ein abgerichteter Vogel. […] Ein Musikus nicht anders rühren kann, er sei dann selbst gerührt.” 
Während des musikalischen Vortrags soll Leidenschaft erregt werden, Herzen berührt und besänftigt werden und das geht auch nur, wenn man sich mit seinem Verstand beschäftigt.

1767 konnte Carl Philipp Emanuel Bach dann endlich den Hof verlassen, als sein Pate Georg Philipp Telemann in Hamburg starb und Bach dessen Nachfolge als Musikdirektor und Kantor antrat. Zwar verzögerte sich seine Abreise zunächst, weil Friedrich II. ihn nicht gehen lassen wollte und später ein besonders harter Winter den Umzug verhinderte, im April 1768 konnte er dann aber sein neues Amt antreten. In Hamburg hatte Carl Philipp Emanuel viele verschiedene Aufgaben. Zum einen waren mit den fünf Hauptkirchen um die 200 Aufführungen verbunden und er musste Kompositionen für spezielle Anlässe schreiben. Zum anderen musste er aber auch an der Hamburger Lateinschule unterrichten. Um dieser immensen Arbeitsbelastung gerecht werden zu können, hatte Bach eine spezielle Technik: die sogenannte Pasticcio-Technik. Er verarbeitet für viele seiner Werke bereits vorhandenes Material, zum Teil eigene Kompositionen aber auch Werke andere Komponisten. Diesen „fremden” Werken fügte er Stimmen oder ganze Sätze hinzu, instrumentierte neu und überarbeitete Rezitative. So konnte er dem hohen Anspruch der Stadt Hamburg gerecht werden und präsentierte ein breites Spektrum an Kirchenmusik. Vor allem seine drei Oratorien waren ein großer Erfolg im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Oratorien suchten auch nach neuer Einfachheit, Empfindsamkeit und Natürlichkeit. Die Librettos lösten sich vom Bibeltext und brachten eigene Gedanken und Empfindungen ein. Diese Empfindsamkeit zeigt sich auch in Bachs Oratorium “Auferstehung und Himmelfahrt Jesu” von 1774 nach dem Libretto von Ramler.

Neben sakralen Werken komponierte Carl Philipp Emanuel aber auch Modegattungen seiner Zeit, wie Rondos oder Fantasien. „Mein Hauptstudium ist besonders in den letzten Jahren dahin gerichtet gewesen, auf dem Klavier, ohngeachtet des Mangels an Aushaltung, so viel möglich sangbar zu spielen und dafür zu setzen. Es ist diese Sache nicht so gar leicht, wenn man das Ohr nicht zu leer lassen, und die edle Einfalt des Gesanges durch zu vieles Geräusch nicht verderben will. Mich deucht, die Musik müsse vornehmlich das Herz rühren, und dahin bringt es ein Klavierspieler nie durch bloßes Poltern, Trommeln und Harpeggiren, wenigstens bei mir nicht.” Die Fantasie ist eine Art aufgeschriebene Improvisation. Häufig wird das strenge Metrum des Takts gesprengt, wodurch sich wieder eine besonders subjektive Tonsprache ergibt. Mit diesem Ausdruck weist Carl Philipp Emanuel Bach schon ins 19. Jahrhundert.

In Hamburg galt Bach als musikalische Leitfigur. Darüber hinaus schätzte man ihn in und außerhalb von Deutschland nicht allein wegen seiner Kompositionen, sondern auch wegen seiner umfassenden Bildung, seiner Offenheit und seiner Gastfreundschaft. Ähnlich wie zuvor in Berlin fiel es ihm auch in Hamburg leicht, Freundschaften zu anerkannten Wissenschaftlern, Philosophen, Dichtern und Theologen der Aufklärung zu knüpfen. Carl Philipp Emanuel war aber nicht nur so ein sehr freundlicher Mensch, er legte auch sehr viel Wert auf die Familie und ihre Tradition und Andenken. Deshalb widmete er sich auch mit besonders viel Engagement dem musikalischen Erbe seines Vaters, Johann Sebastian Bach, und versuchte alles beisammen zu bewahren. Er selbst schien mit seiner Arbeit aber nicht zufrieden zu sein. „Es ist ärgerlich, dass die Sachen vom seeligen Vater so herumflattern, ich bin zu alt und zu sehr beschäftigt, um sie zusamen zu treiben.” Außerdem schrieb er Briefe an den Göttinger Musikdirektor Johann Nicolaus Forkel, der an der Biographie von Johann Sebastian Bach arbeitete. In diesen Werken würdigte Carl Philipp Emanuel Bach die musikalische Stellung seines Vaters und einzelne stiltypische Details. Ohne die Arbeit von Carl Philipp Emanuel wäre Johann Sebastian Bach heute wohl kaum so bekannt.

1778 hat Carl Philipp Emanuel Bach einen schweren Verlust zu verkraften. Sein Sohn Johann Sebastian, benannt nach seinem Großvater, verstirbt. In einem Brief an seinen Leipziger Verleger Breitkopf, erfährt man, wie Carl Philipp Emanuel sich gefühlt haben muss: „Liebster Herr Landsmann, noch ganz betäubt von der traurigen Nachricht wegen des Absterbens meines lieben Sohns in Rom, kann ich kaum folgendes zu Papier bringen. Ich weiß, Sie haben Mitleiden mit mir, und Gott behüte Sie für dergleichen Schmerz.” Das daraufhin komponierte Rondo a-Moll aus der Klaviermusiksammlung für “Kenner und Liebhaber Teil II” bringt diesen tiefen Schmerz zum Ausdruck.

Carl Philipp Emanuel Bach starb 1788 mit 74 Jahren in Hamburg an einer „Brustkrankheit”, zu der näher nichts bekannt ist. Fünf Tage später wurde er in der Krypta der Michaeliskirche beigesetzt. Vergessen hat man ihn deshalb aber nicht direkt. Im Gegenteil, vor allem von den Komponisten der nachfolgenden Generation, Haydn, Mozart und Beethoven wurde er hochverehrt. Wolfgang Amadeus Mozart sagte: „Er ist der Vater, wir die Bub’n. Wer von uns was Rechtes kann, hat von ihm gelernt.”
Durch seine Werke, aber auch durch seine musikalische Haltung, die im “Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen” zum Ausdruck kommt, wird Carl Philipp Emanuel Bach als der bedeutendste Vertreter der Übergangsepoche zwischen Spätbarock und der Wiener Klassik angesehen und hat die späteren Generationen nachhaltiger geprägt, als wir uns heute oftmals bewusst sind.


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