Haim – I quit
Rezensiert von Anna Loschelder on 23. Juni 2025

Sich von etwas trennen und trotzdem weitermachen? Etwas zurücklassen und trotzdem nach vorne blicken? Das Schwestern-Trio Haim sagt dazu ganz klar JA!
Ihr am 20.Juni neu veröffentlichtes Album trägt den passenden Namen “I quit” und thematisiert ganz genau das. In 15 Songs und 52 Minuten geben die drei Schwestern Este, Danielle und Alana Haim einen Einblick in ihre innere Gefühlswelt und ihre vergangenen Beziehungen. Inhaltlich wird dabei ein Rundumbild geschaffen, von romantisiert-nostalgischen Erinnerungen bis zu inneren Gefühlskonflikten.
Jeder einzelne Song hat das Thema etwas aufzugeben, das für uns nicht mehr funktioniert. (Alana Haim)
Haim sind in der gegenwärtigen Musiklandschaft sicherlich keine Neulinge. Bereits seit 2012 machen die Schwestern gemeinsam ihre eigene Musik, zu Zeiten ihrer Jugend waren sie eine Art Familien-Coverband. Ebenso arbeiteten sie in den letzten Jahren mit Künstlerinnen wie Taylor Swift und Charli xcx zusammen. Mit ihrem letzten Album “Women in Music Pt. III” schafften sie es als erste rein weibliche Rockgruppe, eine Grammy-Nominierung für das Album des Jahres zu bekommen.
Ihr nun viertes Album “I quit” entstand in einer Zeit, in der alle drei Schwestern ohne es zu wissen zum ersten Mal seit Langem gleichzeitig single waren. Bei der Produktion hatte dieser Umstand einen erheblichen Einfluss auf die Inhalte und Sichtweisen des Albums.
Honestly we didn´t even realize it until the album was over […] but I think you can hear it’s our single album. (Alana Haim)
Das Album startet mit dem gitarrenlastigen Track “Gone”, der mehr als nur eine Prise Freiheitsgefühl und Selbstbewusstsein mit sich bringt. Besonders auffällig sind dabei die wiederkehrenden Gospelstimmen, die im Hintergrund zu hören sind und das Wort “Freedom” immer wieder wiederholen. Hier nutzen Haim ein Sample von George Micheals´s Klassiker “Freedom! ’90”. Auch in anderen Tracks referenzieren die Musikerinnen einiges an Popkultur, meist jedoch eher versteckt als offensichtlich.
Ich stehe einfach auf Samples in Popsongs, und habe mich irgendwann gefragt, warum wir selbst noch nie welche verwendet haben. (Alana Haim)
Musikalischen Einfluss anderer Künstler*innen findet man ebenso im sehnsüchtigen und sensiblen Song “Love you right”. Die akustische Soft-Rock Melodie, die den emotional aufgeladenen Text begleitet, schreit nur so nach Fleetwood Mac. Die Band ist unter anderem eine der größten musikalischen Inspirationen für Haim.
Der eher nostalgische Klang des Albums lässt sich zum ersten Mal im Song “Take me back” hören. Darin blicken die Schwestern auf ihre Highschool-Zeit zurück und erinnern sich an Dates, Beziehungen und jugendlichen Unsinn. Auch auf musikalischer Ebene hört sich “Take me back” nach purer Nostalgie und Leichtigkeit an. Ebenfalls nostalgisch klingt der verträumte Rock-Track “Lucky Stars”, in dem es um innere Heilung und eine unerwartete, enge, menschliche Verbindung geht.

Der Song “Down to be wrong” spricht Trennungen, eines der größten Themen des Albums, ganz direkt an. Oh, I bet you wish it could be easy to change my mind […] I ain´t coming back, I ain´t coming down. Das Schwestern-Trio priorisiert sich in diesem Track selbst. Egal wie sehr sich eine Person wünscht, man würde zurückkommen, Haim stellt fest, man muss sich für sich selbst entscheiden und nach vorne blicken.
Thematisch ähnlich ist auch der Song “The farm”, der besonders den Trennungsprozess und das Gefühl beschreibt, dass man sich immer weiter vom eigenen Partner distanziert. Der sehr ruhige Track zeichnet sich durch einen folkigen Acoustic-Klang und einen Hauch von Country aus. And my sister said, “It’s alright. You can stay with me if you need a place to calm down. ´Til you get back on your feet”
Danielle, Este und Alana Haim sprechen in “I quit” jedoch nicht nur über Trennungen. Mit dem Song “All over me” kommt ein weiteres Thema auf: Moderne Beziehungsdynamiken. Und damit sprechen sie wohl genug jungen Erwachsenen aus der Seele. You want us locked in, and I´ll give you my sympathy. But that’s one thing I won´t define. So sind sie wohl, diese Situationships. Eine Person will mehr, die andere nicht. Eine Lösung schlagen Haim in ihrem Song dafür nicht vor, melodisch bleibt er einem aber trotzdem im Kopf hängen. So auch der Track “Relationships”, der durch seinen Indie-Pop-Klang die Leichtigkeit eines heißen kalifornischen Sommers versprüht. Inhaltlich geht es konträr eher um innere Unsicherheiten. Die Sängerinnen hinterfragen frühere Beziehungen und warum man sich überhaupt in Beziehungen bindet.
Die letzten beiden Songs des Albums bilden einen ambivalenten Abschluss. Zunächst hört man “Blood on the street”, eine raue Mischung aus Blues und Rock. Die Kombination aus Text und Musik geben einen schwermütigen Blick auf eine Beziehung voller Gleichgültigkeit und ohne jegliche Empathie. Auch der darauf folgende Track “Now it’s time” gibt einen Einblick in eine eher dürftige Beziehung, konzentriert sich inhaltlich jedoch auf die gewonnene Erkenntnis zum Self-Empowerment. I can’t wait anymore for you to set me free. Yeah, it isn´t yours to give, it has to come from me. Damit liefern Haim einen kraftvollen Abschluss und die Botschaft, Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Während Haim’s letztes Album musikalisch und inhaltlich deutlich rauer und experimenteller klang, gestaltet sich “I quit” zwar ebenso tief emotional, jedoch deutlich ruhiger und harmonischer. Aspekte der Selbstfindung und des eigenen Empowerments geben dem Album einen hoffnungsvollen Klang. Auch die zwei Schwestern Este und Alana sind im Vergleich zum letzten Album häufiger zu hören. Besonders interessant sind die vielfältigen musikalischen Einflüsse, die wie kleine Easter Eggs in den einzelnen Tracks zu finden sind. Zwar ist “I quit” mit seinen 15 Songs verhältnismäßig lang, ist jedoch insgesamt sehr gut hörbar und unterhaltsam.
Label: Universal Music Operations Limited Veröffentlicht am: 20.06.2025 Interpret: Haim Name: I quit