Lucy Dacus – Forever Is A Feeling
Rezensiert von Luka Ray Neumann on 7. April 2025

Habt ihr die Lesben in eurem Leben schon gefragt, wie es Ihnen seit dem Release von “Forever Is A Feeling” von Lucy Dacus geht?
Tendenziell eher so mittelgut.
Warum? Naja, Lucy Dacus hat mal wieder mit ihrer musikalischen Schere gespielt. (Erklärung dazu später).
Erstmal die harten Fakten: Nach dem sehr großen Erfolg ihres Bandprojekts boygenius mit Phoebe Bridgers und Julien Baker hat Lucy Dacus am 28. März ihr viertes Album veröffentlicht: Ein wunderschönes Streichorchester-Intro, 12 Songs und ein Feature mit Hozier. Das Album fühlt sich wie eine anthropologische Analyse von romantischer Liebe an.
Diese Albumrezension wird vor allem eine Lyrik-Analyse, denn die Songs von “Forever Is A Feeling” sind musikalisch vor allem ruhig durch Akustik-Gitarren, Streichinstrumente und Harfen. Hier hat Lucy Dacus sich nicht nur musikalisch von den Instrumenten, sondern auch mit dem Albumcover, was ein Ölgemälde ist, von der Romantik inspirieren lassen.
Der erste Track ist “Calliope Prelude”. Die Sängerin benutzt auf diesem Album viele Referenzen zu Sagen, Gottheiten und Religion. So beginnt das Album mit einer einzigen Geige, die dann durch weitere Streichinstrumente unterstützt wird.
Kommen wir nun zu meiner Interpretation des Intros bzw. des Titels. Kalliope ist in der griechischen Mythologie die älteste und klügste der neun Musen. Sie ist Muse der Dichtung, aber auch des Saitenspiels und löste den Streit von Aphrodite und Persephone um Adonis: Ein Drittel des Jahres mit Aphrodite, ein Drittel mit Persephone und das Letzte, mit wem er möchte. Adonis blieb bei Aphrodite und starb an einem tragischen Tod, der durch Persephones Eifersucht verursacht wurde. Das Album hat genau 12 Songs und könnte somit auch eine Referenz auf die 12 Monate im Jahr und die Aufteilung von Adonis sein.
Das Intro geht vom Streichorchester über in den ersten Song “Big Deal”, eine zu späte Liebeserklärung. Lucy Dacus arbeitet hier mit Zeitsprüngen und erzählt von der Liebeserklärung einer Frau, die jetzt in einer anderen Beziehung ist. Obwohl die Songwriterin weiß, dass ihr Leben ohne die Frau einen tragischen Verlauf nehmen wird, ist sie glücklich für ihre Ex und möchte ihr nur komplementierende Worte mitgeben. “Big Deal” zeigt direkt, wie emotional, vulnerabel und intim sich Lucy Dacus in ihren Lyrics ausdrückt. Selbst der Begriff “Big Deal”, der ihre sonst so vielen Metaphern kontrastiert, zeigt genau durch die Simplizität, wie einfach Liebesgeständnisse (egal ob platonisch oder romantisch) sein können. Wenngleich sie vielleicht zu spät sind. Simple Drums und weiche Gitarrenklänge mit Streichern untermalen dieses Liebesgeständnis.
Der zweite Song “Ankles” ist mein persönlicher Favorit. Die Celli am Anfang kreieren ein Gefühl der Unruhe und Sehnsucht. Lyrisch handelt der zweite Songs des Albums genau davon. Lucy Dacus beschreibt eine Freundschaft, die viel mehr als nur eine platonische Beziehung zu der Person ist.
If it’s the thought that counts, let’s think it through
Es geht um ihre sexuellen Fantasien mit der Person, die dann aber durch Fantasien des Zusammenlebens und der Zukunft miteinander ergänzt werden. Im zweiten Vers bezieht sie sich wieder auf die griechische Mythologie. Es geht diesmal um die drei Schicksalsschwestern und die Musikerin benutzt deren Schicksalsschere als Metapher dafür, dass sie auch mit dem Schicksal und den Gefühlen der anderen Person spielt:
One of three ancient fates playing with your scissors again
Die Mythe der Schicksalsschwestern beschreibt eben, dass jeder Mensch den Lebensfaden hat, der jederzeit von Ihnen zerschnitten werden kann, sodass wir sterben. Diese Existenz-Metapher wird vielleicht von meinen liebsten Lyrics des ganzen Albums gefolgt:
How Lucky are we to have so much to lose?
Der Song ist eine musikalische Nachempfindung des Gefühls, mehr als Freunde zu sein, aber eben nicht mehr als Freunde sein zu können. Somit bekommen Gedanken und Fantasien viel mehr Signifikanz im Kopf des lyrischen Ichs. Die Imperative, die im Chorus genutzt werden und an die andere Person adressiert sind, zeigen zusätzlich wie sehnsüchtig Lucy Dacus auf Intimität mit der Person wartet, die nie passieren wird. Der Song endet mit dem Chorus und somit in ihren Fantasien einer gemeinsamen Zukunft.
Wir begeben uns von der unglücklichen Situationship nun in eine Beziehung, die schon längst hätte beendet werden sollen. Die Singer-Songwriterin beschreibt in “Limerence” Partynächte und Gedanken, die sie dank Popcorn im Mund für sich behält. Sie überlegt das Herz der anderen Person zu brechen. Das Klavier und Streichinstrumente begleiten die Gedanken von Lucy Dacus und ihrer inneren Zerrissenheit:
Is there a difference between lying to you, if it feels just as bad as telling the truth?
Letztendlich entscheidet sie sich fürs Schweigen, doch die Stille frisst sie, so wie sie zuvor Popcorn gegessen hat, um still zu sein, innerlich auf.
Der vierte Song “Modigliani” erzählt die Geschichte von zwei vermutlich Ex-Personen, die immer noch in Kontakt stehen oder Freund*innen, die mehr als das hätten sein können. Das lyrische Ich hinterfragt zwischen Erinnerungen an eine religiöse Erziehung und an gemeinsame Momente, wie die andere Person es beeinflusst hat. Die andere Person wird kritisiert für die Entscheidung, in einer Beziehung mit einem Mann zu sein, der offensichtlich nicht zu ihr passt. Trotz dieser Kritik und Beobachtungen, dass die Person neue Menschen schnell für sich gewinnen kann, muss Lucy Dacus mit langem Gesicht (Anspielung von ihr auf die langen Gesichter des Malers Modigliani) anerkennen, dass sie sich aber auch mit der Person immer noch wohlfühlt. Sie kann nicht loslassen und sehnt den neuen Tag herbei.
“Talk” führt das Motiv der Sehnsucht und des schon erkennbaren Schicksals der Liebesbeziehung weiter. Lucy Dacus beschreibt einen Ausflug mit einer Beziehungsperson wobei sie die Schönheit der Natur und die Natur der Beziehung beschreibt. Sie reden nicht mehr miteinander. Das einzige, was beide hören, ist der Druck in ihren Ohren durch den Höhenunterschied. Musikalisch wird die Frage “Why can’t we talk anymore?” durch eine Pause vor dem Wort “Talk” hervorgehoben. Selbst die Musik spricht kurzzeitig nicht mehr. Das lyrische Ich sucht die Schuld für die fehlende Kommunikation bei sich selbst. Die Frage nach dem Warum und die nostalgische Sehnsucht nach schönen Momenten mit der Partnerperson bekräftigen sich gegenseitig. Lucy Dacus spielt auf den griechischen Philosophen Heraclitus mit den Versen “I could not love you the same way, two days in a row” an. Obwohl wir Menschen auf andere unverändert wirken, verändern wir uns und unsere Umgebung stetig.
“Für immer” ist ein Gefühl und ein Versprechen, was wir oft geben und doch nie einhalten können. “For Keeps” ist eine bittersüße Liebeserklärung, die die Frage nach dem “für immer” thematisiert.
“If the Devil’s in the details, then God is in the gap in your teeth”
Diese Lyrics haben mich sprachlos gemacht. Die Musikerin beschreibt metaphorisch, dass selbst kleinste Dinge der anderen Person alles, denn Gott ist im Glauben alles, für sie bedeuten. Sie hinterfragt, ob Gott und der Teufel nicht eigentlich dieselbe Gestalt sind. Trotz der Erkenntnis, dass die geliebte Person und sie nie für immer sein werden, glaubt sie anstatt an Gott nur noch an die Person und sich. Denn “für immer” ist ein Gefühl.
Das bringt uns zum Titeltrack des Albums “Forever Is A Feeling”. Hier singen ihre Bandkolleginnen Phoebe Bridgers und Julien Baker Backing Vocals. Der Song fühlt sich wie ein verliebter Sommertag an, den man später zum Teil bereut und zum Teil nie vergessen möchte. Lucy Dacus erinnert sich an Ausflüge und Gespräche mit der Person zurück und wir verstehen: Für immer ist ein Gefühl, aber ein magisches allemal. Die Naivität der Liebe und die besondere Beziehung der beiden steht hier im Vordergrund und lässt einen in eigene Nostalgie getränkt Schmunzeln.
“Come Out” ist eine laute Liebeserklärung. Das lyrische fordert die geliebte Person auf rauszukommen bzw. eventuell auch ihr Coming Out als queer zu haben. Es will sich und die gemeinsame Liebe nicht mehr verstecken. Der eintönige Alltag von Lucy Dacus dient als Kontrast zu der intensiven Liebe, die sie für die andere Person fühlt. Hierbei greift sie auch nochmal “Talk” auf und beschreibt ein älteres Paar, was sich nichts mehr zu sagen hat. Diese Liebe ist aber anders als die des älteren Paares und sie möchte beginnen laut und offen zu lieben.
C’mon, c’mon, I’m ready for you, I can’t wait, I can wait, but I don’t want to
“Best Guess” war eine der vorab veröffentlichten Singles und hat durch das Musikvideo viel Aufmerksamkeit erregt. Der Song behandelt erneut eines der großen Motive von Veränderung und Endlichkeit der Liebe. Jedoch möchte das lyrische Ich mit der anderen Person zusammen bleiben, denn diese ist deren “Best Guess” für die Zukunft. Das Musikvideo zeigt die Sängerin und andere lesbische aber auch queere Frauen, nicht-binäre Personen und auch einen trans* Mann in Anzügen. Auffällig ist hierbei, dass sie sich vor allem maskulin präsentieren. Viele Menschen freuten sich über die Repräsentation und doch gab es berechtigte Kritik daran, dass diese Menschen trotzdem einem vor allem dünnen Schönheitsideal entsprachen.
Nun kommen wir zu dem Feature, was alle in gay panic versetzt hat: “Bullseye” mit Hozier. Diese wahrgewordene Traum-Collaboration zeigt sich in der Harmonie der beiden Stimmen und den Lyrics, die mich zum Weinen gebracht haben. Es geht um eine abgeschlossene Liebesbeziehung, die man nun Revue passieren lässt. Eine bittersüße Realisation, dass die gemeinsame Welt und die Erde sich doch weiterdreht. Der Song zeigt wie eine liebevolle Trennung sich anfühlen kann und das für beide Seiten.
“Most Wanted Man” ist der vorletzte Song auf dem Album. Lucy Dacus beschreibt hier, dass die Endlichkeit uns zeigt, was uns wichtig ist. Die andere Person wird hier als “most wanted man” beschrieben und Lucy Dacus ist so eingenommen von der Person, dass sie Bücher über sie schreiben möchte. Sie hinterfragt erneut auch wieder ihren Glauben an Gott, obwohl sie Gott für die andere Person dankt. Die Endlichkeit von uns, aber auch der Liebe wird im Outro verarbeitet. Die Musikerin sagt, dass sie das Buch verbrennen können und somit niemand mehr die Geschichte der beiden lesen oder dieser nachtrauern kann.
Der letzte Song des Albums ist “Lost Time”.
“Nothing lasts forever but let’s see how far we get”
Es ist fast Frühling und somit kehrt der Sage nach Persephone aus der Unterwelt zurück. Aber was lässt sie bzw. was oder wen lassen wir alle zurück, wenn wir gehen? Die Musikerin singt einen Liebesbrief an ihre geliebte Person vor. Sie möchte keine Zeit mehr verschwenden, ohne ihr gesagt zu haben, dass sie sie liebt und ihr Leben mit ihr verbringen möchte. Solange es eben noch geht. Es ist eine Erinnerung an uns alle, mutiger und offener zu sein und zu artikulieren, was wir fühlen und wollen. Denn “für immer” können wir leider nie erreichen.
“Forever is A Feeling” hat mich sprachlos zurückgelassen. Lucy Dacus schafft es immer wieder, sehr spezifische Erlebnisse universell erlebbar für andere zu machen. Sie schreibt vulnerabel, direkt und gleichzeitig so versteckt schön über ihre Gefühle.
Was also nimmt man vom Album mit, außer ein Saiteninstrument bzw. Gedichte schreiben lernen zu wollen oder sich in griechische Mythologie einlesen zu wollen?
Ich für meinen Teil habe mich in so vielen Songs emotional wiederfinden und wiederfühlen können. Das Album zeigt, wie schmerzlich schön und wunderschön schmerzhaft Liebe war, sein kann und immer sein wird.
Ewigkeit bleibt eine sterbliche Sehnsucht und vielleicht auch Naivität.
Forever is a Feeling and I (never) want to feel it again.
Label: Geffen Records Veröffentlicht am: 28.03.2025 Interpret: Lucy Dacus Name: Forever Is A Feeling