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INTERVIEW MIT OK KID

Geschrieben von am 12. November 2019

von Amélie Becker

OK KID überraschen mit neuer selbstproduzierter Musik nach 3 Alben beim Major Label Four Music (Sony). Die Wurzeln in der Gießener Hip Hop Szene, gründet sich 2006 Jona:S –  die Umbenennung in OK KID, 3 Alben und ein eigenes lokales Festival folgen. Vor kurzem erscheint eine Playlist mit 9 Tracks namens „WOODKIDS“. Über die Bandentwicklung, riesige Penisse und Versagensängste haben wir mit den 3 Jungs im Interview gesprochen.

Radio Q: Seit dem 29.10 spielt ihr bis zum 11. November jeden Abend eine Show in einer anderen Stadt – sportlich! Gießen ist ja eure Wiege, gestern Abend (6.11.) dann also „back to the roots“. Wie war das Konzert in der Heimat?

Jonas: Wir haben uns gestern, in der Zwischenzeit zwischen normalem Set und der Zugabe, kurz unterhalten und dabei festgestellt, dass es seit Jahren wahrscheinlich die beste Show in Gießen war, die wir hatten. Von dem, was uns die Leute gegeben haben… das war lang nicht mehr so in Gießen. Gestern hat es richtig Bock gemacht. Innerhalb von ganz kurzer Zeit ausverkauft gewesen, alle waren hyped. Es war richtig schön!

Radio Q: Und was ist für euch das Besondere daran zuhause zu spielen?

Jonas: Man ist immer noch ein bisschen mehr aufgeregt, wenn man zuhause spielt. Vor allem im Muk, wo wir gestern gespielt haben, das war früher quasi unser Wohnzimmer. Das war der Club, in dem wir immer waren, in dem immer Konzerte stattgefunden haben. Dort haben wir gejammt. Ich weiß gar nicht, warum es so ist, aber da stellt man sich immer ein bisschen in den Vergleich. Haben wir uns weiterentwickelt? Können wir es heute toppen?

Moritz: Von Anfang an haben wir Konzerte in Gießen gespielt. Gießen hat dadurch alles mitbekommen – alle Stadien unserer Bandgeschichte. Wir schreiben ja auch Songs für die Stadt und dann ist es einfach mega emotional, wenn man dort spielt.

Radio Q: Ihr reiht euch ein bei Kraftklub, AnnenMayKantereit ziehen auch nach. Ihr habt jetzt zweimal das „Stadt ohne Meer Festival“ in der Heimat organisiert. Wieso wolltet ihr das machen und wieso dort? Seid ihr zufrieden?

Jonas: Es wird glaube ich jedes Jahr besser. Irgendwo anders ein Festival zu veranstalten würde für uns keinen Sinn machen. Wir wollen etwas für die Region tun. Damit es ein kulturelles Angebot gibt, dass es vor diesem Festival dort einfach nicht gab. Und das bei einer Stadt mit der größten Studierendendichte in ganz Deutschland. Es passiert so wenig außerhalb von der „Mainstream-Rummelbumms-Disko“, das ist echt schade. Und dafür sind wir irgendwie angetreten. Wir wollen einen Ort schaffen, der schön ist, mit geiler Musik, die auch ein bisschen unserer Ästhetik von Kunst und Musik gerecht wird. Das hat ganz gut funktioniert.

Radio Q: Ihr habt euch nach dem Album “Sensation” zurückgezogen. Wie war’s im Wald?

Raffi: Wir waren im Spreewald und dann waren wir noch mal in Bayern, im Schlierseewald.

Moritz: Im Spreewald hatten wir so ein Haus, direkt am Fluss. Wir hingen da rum und haben relativ vorbehaltlos Ideen gesammelt und Mucke gemacht. So dann auch im Schlierseewald. Das ist voll schön, wenn du irgendwo bist und die ganzen Einflüsse rausnimmst. Das Dailylife den Alltagshustle. Wenn wir in Köln Musik machen geht das zwar auch, aber da ist es dann allein mit Terminfindung manchmal schwierig. Man kann 2 Stunden etwas machen und dann muss irgendwer von uns wieder weg. Man hat die ganze Zeit noch Quereinspieler die rein und raus fliegen. Das war im Wald einfach komplett entspannt.

Radio Q: Jetzt sind in den vergangenen Wochen Stück für Stück Songs zum Beispiel auf Youtube erschienen, die als Episoden in einer Playlist namens WOODKIDS zusammengefasst sind. Der Sound hat sich im Vergleich zu „Sensation” wieder verändert, aber die Songs variieren auch innerhalb. Es wird persönlicher. Woher kam das Bedürfnis?

Moritz: Wir haben Dinge verändert. Das Songwriting haben wir von einem Alltag in eine komplette Abschottung verlegt. Das gab‘s beim letzten Album einfach nicht in der Form. Das hat dazu geführt, dass wir auch Bock hatten, die Sachen komplett selbst zu machen. Wir haben ganz eigenständig produziert. Lediglich für einen Song haben wir Tim Tautorat, unseren Produzenten von „Sensation“, herangezogen. Im Prinzip haben nur wir drei die WOODKIDS-Playlist erstellt. Es ist natürlich sehr nah an uns dran. Soundlich und textlich ist es dadurch sehr persönlich.

Radio Q: Ihr habt mit “Sensation” das letzte Album im Four Music Vertrag beim Major Sony veröffentlicht. Damals habe ich mich ein bisschen gefragt, ob ihr die politischen Statements mit einem kleinen frechen Geniestreich einfach etwas eingängiger produziert habt. Also eine euch wichtige Message für die Massen zugänglicher gemacht habt – durch Pop. Pathetisch gesagt: ein trojanisches Pferd.

Jonas: „Sensation“ war schon unser Popentwurf. Wie können wir Songs schreiben in einem Popgewand, wie wir es 2018 geil finden. Der Name „Sensation“ spricht ja auch schon dafür, dass es groß klingt, sehr ausproduziert, sehr laut. Die Songs wollten gehört werden. Da hat das einfach zusammengepasst. Für uns war das eine extrem wichtige Weiterentwicklung und ein sehr konsequentes Album – was leider nicht alle so verstanden haben.

Radio Q: Jetzt hört man bei WOODKIDS aber in einigen Zeilen raus, was man sich auch bei “Sensation” hätte fragen können… vor allem bei „E07 Nur wir Drei” hört man: „Sensation letztes Album im Vertrag. Schreiben eine Qual. Wut gegen mich, Wut gegen alle, Wut lass nach”. Jetzt ist ja auch alles von WOODKIDS über music.factory verbreitet worden. Habt ihr euch vom Major befreit und die Flügel aufgeschlagen? Alles wieder euer 100% eigenes Produkt?

Jonas: WOODKIDS ist was völlig anderes. Wir fühlten uns nicht wirklich eingeengt im Major Label, aber da hängt einfach ganz viel ab von der Label Policy, dass sehr viel Geld für Sachen ausgegeben wird, was du selbst nicht so wirklich siehst. Es wird so viel Geld rausgeballert für Sachen, bei denen wir gesagt haben: Ey, wir könnten viel effektiver sein und ein eigenes Produkt machen. Jetzt gerade haben wir ja nicht mal einen Vertrieb. Wir haben gerade einen Onlineshop, da packt der Manager die Päckchen zusammen. Aber es fühlt sich so gut an, das direkt an die Fans weitergeben zu können. Wenn man jetzt schaut, was hatte Sensation für einen Umsatz und was hat dieses DIY-Projekt gebracht – da liegst du nicht mehr weit auseinander. Du erreichst die Fans direkt und du brauchst nicht sehr viel Geld in die Hand zu nehmen, um Werbung zu machen. Und das ist für uns die Bestätigung, dass es sich richtig anfühlt. Du musst dein Produkt nicht über Amazon anbieten und alle Wege gehen. Und jetzt können wir alles selbst entscheiden, was es sehr frei gemacht hat. Was die Musik angeht, bin ich tatsächlich immer noch sehr überrascht, dass wir innerhalb von so kurzer Zeit 9 Tracks fertig gemacht haben. Die funktionieren wie eine Audioserie, die mit verschiedenen Episoden aufeinander aufbaut. Vielleicht war auch das das Rezept, weshalb es schneller ging: Weil wir ungefähr wussten, wo wir mit dem nächsten Song landen wollten. 

Moritz: Es ist einfach vom Sound ein bisschen reduzierter. Wir haben das nicht groß aufgeblasen, sondern wollten eine sehr schmale Produktion haben, die nicht überfüllt ist. Das Schöne an der ganzen Sache ist vor allen Dingen auch, dass man einfach Songs schreibt, produziert und raushaut. Man hat nicht mehr diese langen Vertriebswege, dass man dann anderthalb Jahre an einem Album schreibt. Dann produziert und dann 2 Jahre später ein Song rauskommt, den du eben 2 Jahre vorher geschrieben hast. Das ist die große Freiheit, die wir durch die Trennung gewonnen haben.

Radio Q: Mir hat das sehr gefallen. Ich finde man hört das einfach raus. Man hört, dass es anders produziert worden ist, ihr das anders angegangen seid. Es sind ja acht Episoden und ein Epilog. Sagt mal, wo ist denn der Prolog?

Jonas: Hmmm..

[Ratlosigkeit, Lachen]

Jonas: Eigentlich müsste „Wut lass nach“ der Prolog sein.
Ach, wir machen das sehr gerne, dass wir Songs miteinander verbinden. Das haben wir immer schon gemacht, wie ja auch bei der „Kaffee warm Trilogie“, die vorerst zumindest einen Abschluss gefunden hat. Vielleicht ist der Prolog auch „1996“, also in dieser Phase, der Pubertät, fängt WOODKIDS eigentlich an. Und „Epilog“ ist dann die Aussicht auf das, was kommt. Und das wird Ok Kid sein, die Zukunft.

Radio Q: Apropos Verknüpfungen und roter Faden: Was haltet ihr denn vom guten alten Albumkonzept, bzw. der Konzeptmusik?

Raffi: Das kann voll geil, aber auch voll scheiße sein. Ich finde manche Konzeptalben super, wo das dann aber auch total reinpasst und Sinn ergibt. Es gibt zum Beispiel von der isländischen Band Sigur Rós ein Album, da haben sie einfach irgendwann gesagt, das was wir singen versteht sowieso keiner. Seitdem singen sie nur noch Laute. Die Songs haben keinen Namen mehr, auch das Album heißt nur „()“. Die Song haben nur noch Nummern. Das ist ein Konzept, dass die Band erweitert. Wenn man aber als Band ein Konzept wählt, das einen total einengt, dann geht das einfach nach hinten los. WOODKIDS ist kein Album- aber ein Playlistkonzept.

[Lachen]

Raffi: Nee, aber das macht für uns total viel Sinn, weil wir uns dafür nicht verstellen mussten. Sondern es aus unserem eigenen Wunsch heraus entstanden ist und uns damit auch voll in die Karten gespielt hat. Sich jedoch im Vorhinein seinen Elfenbeinturm zu bauen:  „Das ist das Konzept und so muss es sein“ – da macht man sich glaube ich eher das Leben schwer und die Musik leidet darunter.

Radio Q: “E07 Nur wir Drei” scheint mir ein bisschen wie die Abrechnung von all dem, was euch so passiert ist. In „E08 Schwimmen” ist der „Knoten geplatzt” und auch im Video zum Song schippert ihr aus dem Wald raus. Was hat das WOODKIDS Projekt mit euch gemacht?

Raffi: Hat auf jeden Fall Bock auf mehr gemacht. Ich würde das jetzt auch nicht unbedingt Abrechnung nennen. Auch zur Zeit von „Sensation“ haben wir nicht gedacht: Fuck, wir hassen das Label und müssen jetzt das Album machen. Uns wurde da nie wirklich reingeredet, es hatte einfach nur diesen ewig langen Rattenschwanz bei der Veröffentlichung. Das Gefühl der Kurzfristigkeit bei WOODKIDS ist das, was wir uns beibehalten wollen und unserer Musik unheimlich gut tut. Manchmal ist es besser nicht so ewig lang an Songs rumzudoktern.

Radio Q: Einige der Episoden haben ein Video bekommen. Woher kamen die Ideen? Und woher kam Wilson (Gonzalez Ochsenknecht) und äh… der riesen Penis? [Bezug auf das Video von „E05 Im Westen“ ] 

Jonas: Naja eigentlich haben wir ja nur ein richtiges Video. Es gibt einen Nachteil, den wir ein bisschen bemerkt haben: Es war kein Vorschuss da und wir haben jeden Cent selbst vorgestreckt.Wir haben immer auch zumindest für uns zeigen wollen, dass wir Geschichten in Videos erzählen, die auch eine gewisse Qualität haben. Das konnten wir in dem Maße natürlich nicht machen. Das ist der Vorteil beim Major, dass du das Geld hast. Das war jetzt schwieriger. Das erste richtige Video war dann für „Im Westen“. Dafür haben wir Wilson gefragt, den kenne ich schon länger. Der fand die Idee super und dann haben wir mit einem riesen Schwanz ein Video gedreht – aus Versehen…

Radio Q: Ach, ich finde schon, dass viele der Tracks auch Videos haben und man das auch so nennen kann. Manchmal ist weniger ja auch mehr. Aber auch „Nur wir Drei“ und „Schwimmen“ haben Videos. 

Moritz: Gerade bei den beiden Tracks sind das ja auch Videos, die man jetzt so in der Form von uns noch nie gesehen hat. Das stimmt!

Radio Q: Eure Songs thematisieren auch die Versagensangst: “Jeden Abend Vorhang auf, will nicht hoch, muss jetzt raus. Hände hoch, beste Stimmung, Menschen die so richtig Bock haben, während ich im Backstage liege, meine Knie so richtig schlottern. Jahrelang überlegt aufhören oder stellen, auf mich hören oder verstellen”. Wie geht ihr mit solchen Ängsten um und was würdet ihr uns Studis vielleicht auch bei Versagensängsten raten? Die gibt’s in unserem Bildungssystem jedenfalls wie im Supermarktregal.

Jonas: Dass du dir sagst: „Hau ab Angst, verpiss dich!“, das ist recht schwierig, weil das nicht passieren wird. Ich habe immer ein Unwohlsein gehabt, unabhängig davon wie groß der Slot jetzt letzten Endes war. Warum mache ich das jetzt? Bin ich der Richtige dafür? Kann ich den Text? Die Angst war immer da, auch wenn sie eigentlich abstrakt war. Auch Raffi und Moritz haben immer gesagt, hey du kannst auch mal versagen und es kann trotzdem gut sein. Das ist etwas, was man immer im eigenen Kopf ausmacht. Ich habe irgendwann akzeptiert: Okay die Angst ist da. Hallo Angst, cool dass du da bist. Wie geht’s dir? Eher so ranzugehen, mit ihr zu dealen, anstatt die ganze Zeit Angst vor der Angst zu haben. Sie ist da, sie geht nicht weg. Immer wegzurennen und zu hoffen, dass sie geht – das hat nicht funktioniert.

Radio Q: Ich nehme in jedes Interview, eine Frage von einem Freund oder einer Freundin mit rein, um ein bisschen „repräsentativer” zu werden. Und die Frage für euch kommt von Tristan: Gab es konkrete Personen aus eurem Umfeld, die als Inspirationen für den Song „Gute Menschen” gedient haben?

Jonas: Nee, genau das ist eigentlich auch das Problem. Ich kann da denke ich auch für Moritz und Raffi sprechen. Niemand von uns hat Menschen im Bekanntenkreis, die solche Ansichten vertreten. Rechte Tendenzen, das kennen wir nicht. Der Song funktioniert also auf die Weise: Wie würde ein solcher Mensch denken?
Ich wünschte ich hätte jemanden, den ich kenne, mit dem ich mich mal darüber austauschen könnte.
Es ist dieses Klischee, das wir zur damaligen Zeit, 2015, entwerfen wollten. Von einer Person, die sagt „Ich bin das Volk“ und damit so eine abstrakte Angst projiziert, die eigentlich voll übertrieben war. Er will auf keinen Fall rechts sein, aber je mehr er sagt, desto mehr entlarvt er sich eigentlich in diesem Song. Wir wollten das Bild des klassischen Wutbürgers entwerfen. Aber es ist keine persönliche Erfahrung.

Moritz: Das beschränkt sich wirklich auf sehr wenige Momente, in denen man mit jemandem aus dem Umfeld mal an so etwas gerät. Dass man eine Angst spürt vor etwas Fremden in den Dingen die gerade passieren, die aber dann manchmal auch nicht zu ergründen ist, sondern eigentlich aus der Person herauskommt. Die sind gar nicht so verknüpft mit Erfahrungen, die es tatsächlich gegeben hat. Eine Angst, die auftaucht und irgendwie unbegründet ist. Aber wir befinden uns da auch echt in unserer Blase muss man dazu sagen. Ich habe viele Freund*innen, die ähnlich denken wie ich. 


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